unbewußte Zahnschmerzen

Hier ein Beleg für die gestrige Behauptung. Wittgensteins “Diktat für Schlick” als zukunftsweisender philosophischer Text. Der 2. Absatz:

Wenn man eine Fähigkeit einen Zustand nennt, dann ist sie ein Zustand im Sinn der Physiologie oder der Zustand eines Seelenmodells. Die Aussage, daß dieser Zustand besteht, ist eine Hypothese. Der Gegensatz hierzu ist z.B. der Zustand der Zahnschmerzen. (Angenommen, wir wollten den Ausdruck “unbewußte Zahnschmerzen” so gebrauchen: ich habe unbewußte Zahnschmerzen soll heißen: ich habe einen schlechten Zahn, der mich nicht schmerzt. Diese Ausdrucksweise mag für manche Zwecke praktisch sein. Hat man aber damit Zahnschmerzen gleichsam an einem dunklen Ort entdeckt, wo man früher keine vermutet hatte? Wenn man nun zwischen bewußten und unbewußten Zahnschmerzen unterscheidet, und beide Zustände nennt, so hat das Wort “Zustand” in jedem dieser Fälle eine andere Grammatik. Vgl.: sichtbare und unsichtbare Farben.)

Moritz Schlick Gedenken

Vergangenen Donnerstag vor 70 Jahren wurde Moritz Schlick auf der Philosophenstiege der Universität Wien von einem geistig gestörten, eifersüchtigen Schülern erschossen. Dazu gab es eine Gedenkfeier im kleinen Festsaal, inklusive Vorstellung einer Werkausgabe durch das “Institut Wiener Kreis”.

Ich kann mich des Gedankens nicht erwehren, dass dieser Tod dem Nachruhm Moritz Schlicks nicht schlecht bekommen ist. Ohne die Tragödie wäre er vermutlich ins Exil gezwungen worden und in den Vereinigten Staaten untergekommen. Er gälte als verdienstvoller Wegbereiter, aber der 70. Todestag würde vermutlich nicht feierlich begangen. Vor allem macht dieses Gedankenexperiment deutlich, dass es sich um eine eigenartige Überblendung zweier sehr unterschiedlich angelegter Tragödien handelt. Hier die persönliche Katastrophe, dort der Faschismus und die “Vertreibung der Intelligenz”. Das berührt sich in der Person Schlicks sehr oberflächlich. F. Waismann, sein Assistent, war Jude und Schlick als spiritus rector des Wiener Kreises wurde vom Austrofaschismus beschimpft. Die “tödliche Note” bekommt der Fall aber aus dem Eifersuchtsdrama.

Inhaltlich gab es wenig Anregung. Die Geste des schuldbewussten Übernehmens der Verantwortung für eine philosophiehistorisch wichtige Episode dominierte. (Ausgenommen die ungezierte Einleitung von Max Kothbauer und die Einbeziehung der Wirkungs-(Nicht)geschichte Schlicks in Wien durch Elisabeth Nemeth.)

Hätte ich einen Beitrag leisten müssen, so wäre ich mit Wittgensteins “Diktat für Schlick” aufgetreten. Da fehlen zwar die Reminiszenzen, dafür ist es große Philosophie.

vom: ein Teil von, von einem

Eine kleine Beobachtung vom Wochenende, betreffend die Sprache des Konsumangebotes.

Bekannt sind “ein Schnitzel vom Schwein”, “ein Filet vom Schneebergbeef”. Das sind Fleischstücke, herausgeschnitten aus einem größeren Brocken. Aber was lese ich im Zimmerprospekt?

Unsere Winzerzimmer sind gemütlich mit Vollholzmöbeln vom steirischen Tischler eingerichtet.

Das hieße in alter Sprache “von einem steirischen Tischler eingerichtet”. Das klingt nicht so gut, es gibt in diesem Zimmer leider keinen Marken-Eigennamen. “Wurst vom Schirnhofer” ist einigermaßen normal. So wird also der anonyme Steirertischler hinter der Redewendung versteckt, die in Anwendung auf totes Fleisch ihre Berechtigung hat.

Preisfrage

Aus dem Alltag:

Abschließend bitte ich noch einmal um eine Auskunft, und zwar zu der unterschiedlichen Behandlung von SPL und Vize-SPL in den Curriculararbeitsgruppen.

Welche Begründung soll ich dafür angeben? Mein Vize-SPL nimmt bekanntlich eigenverantwortlich alle xxx Agenden wahr (laut Geschäftseinteilung zu Beginn der Funktionsperiode). Er wird also für die xxx als SPL die Sitzung der C-AG einberufen, vermutlich anschließend als stimmberechtigtes Mitglied den neuen Studienplan mitbestimmen, diesen dann als SPL mit Kommentar weiterleiten und ihn schließlich administrieren. Ich hingegen werde für die xxx als SPL die Sitzung der C-AG einberufen, als beratendes Mitglied an der C-AG teilnehmen, den neuen Studienplan mit Kommentar weiterleiten und ihn dann als SPL administrieren. Welche sachlichen Gründe sprechen für diese Ungleichbehandlung?

Dekane verlautbart

Vergangenen Freitag hat das Rektorat die Namen der bisher bestellten Dekane verlautbart:

http://mitteilungsblatt.univie.ac.at/MTBL02PDF/09.06.2006.pdf

Interessant ist eine Passage, in der darauf hingewiesen wird, dass diesen Dekanen, die ab 1.10. 2006 im Amt sein werden, bereits jetzt einige wichtige Aufgaben zukommen. In einer Stellungnahme an den Senat wird das genauer ausgeführt. Es handelt sich speziell um die Durchführung der Wahlen in die Fakultätskonferenzen, den Vorschlag der SPLs und der Vizedekaninnen (m/w). Dagegen gehört – laut diesem Papier – die Leitung der neuen Fakultätskonferenzen und der Rechenschaftsbericht zu den Agenden der alten Dekaninnen (m/w).

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Rezepturen

Wie es sich in einem Blog gehört: nützlich und unterhaltsam. Die Erläuterungen zum Obatzten bereichern mein kulinarisches Spektrum. Curry? Igitt. Ich lese darin auch eine philosophische Pointe. Husserl spricht von “eidetischer Variation”. Das Wesen einer Sache kommt dadurch heraus, dass man sich vorstellt, wie sie sonst noch sein könnte – aber eben sie. Es muss (und kann auch) nicht alles eine Sache sein.

Die Fakultät für historische Kulturwissenschaften hierzulande haben für die Kombination zweier 90 Credit Points-Bakkalaureate optiert, die philologischen KWs für 120 zu 30+30 (oder anders). Nachträglich sind beide draufgekommen, dass sie einander brauchen (könnten). Dass also die Kunstgeschichte nicht nur mit einer anderen Geschichtswissenschaft zu kombinieren gut wäre, sondern auch mit Portugiesisch oder Soziologie (noch eine andere Fakultät) und dass sich dabei die Stundenkontingente multiplizieren. Es herrscht Unklarheit darüber, wie diese Kombinationsmöglichkeiten zu verwalten wären und wie ihre Kosten zu berechnen sind.

Es kommt darauf hinaus, dass die Bologna-Denkweise mit Modulen und vordefinierten Studienzielen in Kontrast zu dem Tauschverkehr steht, der bisher zwischen den “Geisteswissenschaften” üblich war. Einfach mal in einer freien Fächerkombination ein paar Stunden aus einer anderen Disziplin mitnehmen – das wird beinahe unmöglich werden.

Obatzter: Mischung: betr. Butter und/oder Quark

Ein camambert-nicht-allzusehr-aber-etwas-mehr-als-etwas-immitierender Käse und Paprika (man denke z.B. an Hauptfachinhalte und Modularisierung) gehören nach jeder Rezeptur die ich kenne zum Obatzten, aber dann wird’s variabel, sowohl was die Gewürze betrifft (ich empfehle fein gestossenen Kümmel, wenig feingestoßenen Koriander, und je nach Käse etwas Salz und Rohrzucker) als auch, vor allem – und abgesehen von der Frage ob mit oder ohne Zwiebeln und mit oder ohne Bier (ich lasse beides weg) – was die Frage “mit Butter? oder mit Quark? oder mit Butter UND Quark?” betrifft.

Jenseits eigener kulinarischer Präferenz zu letzter Frage (“Butter reichlich, aber kein Quark”): aus hiesiger Sicht scheint es anbieterseitige Gründe für einen BA mit mindestens einem (und nach mancher Ansicht gerne lieber zwei) Nebenfächern zu geben:

Man ist zu der Auffassung gekommen, dass es, um einen Hauptfach-BA (oder ein BA-Hauptfach) anbieten zu können mindestens 5 hauptberuflich Lehrende brauche. Nun gibt’s aber Fächer hier, die von weniger als 5 Profs und Mittebaulern mit erheblicher Lehrverpflichtung unterrichtet werden, und deren Weiterexistenz als durchaus im Interesse der Gesamtuniversität gesehen wird, und deren Weiterexistenz wohl erleichtert würde, wenn sie z.B. halbwegs populäre BA-Neben-Fächer anbieten könnten. Und große mögliche Vielfalt des Kombinierbaren könnte ja u.U. auch prospektive Studierende dazu bringen, der hiesigen Universität für ein geisteswisenschaftliches Studium den Vorzug zu geben, und nicht einer Universität wo X zu studieren bedeutet nichts als X zu studieren, oder vielleicht auch “X und entweder Y oder Z”, während wir hier “X und ein oder zwei der folgenden: A, B, C, D, E, F, G, …, Y, Z” anzubieten hätten. (Zum Hintergrund: auf der Sitzung am 2. Mai wurden als Zahlen für das derzeitige hier genannt: 81 Fächer die man als klassisches MA-Hauptfach (grundständiger MA) studieren kann, und 142 Fächer die man als MA-Nebenfach studieren kann.)

Keine Ahnung was draus werden wird.

Obatzter mit Curry allerdings würde wohl nicht nur mir alls jenseits der breitest möglichen Definition von “Obatzter” liegend erscheinen. Andererseits müssen ja nicht alle möglichen (und teils auch wohlschmeckenden) Mischungen von Käse und Andrem “Obatzter” heissen, tun es jetzt schon nicht, und müssen es auch in Zukunft nicht.

Begeisterung gering

Ja, die Begeisterung Über Bologna hält sich auch in Wien in Grenzen. Man muss einschränken: es gibt Studiengänge, die bereits international stark standardisiert sind und das gerne haben wollen (z.B. Informatik, Ernährungswissenschaften, Biologie). Aber in der Sitzung der ehemaligen Geisteswissenschaften, die bei uns jetzt Historische und Philologische Kulturwissenschaften sind, bin ich mit schweren Bedenken konfrontiert worden.

Ein Punkt ist auch hier die Fächervielfalt. Auf der Basis von Lehrveranstaltungen konnte man ziemlich flexibel sein Studium gestalten, wenn auch zuzugeben ist, dass das im großen Stil kaum planbar war: Hunderte von Publizistinnen stürmen die Soziologie, der die Ressourcen für die eigenen Studierenden ausgehen. Durch eine straffe, modularisierte Studienplanung gehen diese eher informellen Verhältnisse verloren. Unsere Uni-Leitung will dem mit “Servicepakten” begegnen, die man “buchen” kann. Das soll ein Hauptfach/Nebenfach-Modell ergeben, von dem aber noch niemand weiss, welche Nebenfächer (und in welchem Ausmass) zur Verfügung stehen werden.

Ein kleines lokales Detail: die historische Fakultät hatte sich für ein 2-Fächermodell entschieden, die philologische für major/minor. Dann sind sie draufgekommen, dass sie einander brauchen und mit diesen unterschiedlichen Aufteilungen nicht zusammenkommen.