Wissenschaft in der Krise. 2 Interpretationen

Heute abend fand eine Podiumsdiskussion zum Thema Wissenschaft in der Krise. Die aktuelle Wirtschaftskrise und Anforderungen an wissenschaftliche Forschung statt. Vorweg muss ich sagen, dass man, um der Diskussion vernünftig folgen zu können, mehr Ahnung von Wirtschaftswissenschaften und Politikwissenschaften haben sollte als ich. Deswegen verstehen sich die folgenden Notizen nur als eine Art Dokumentation der Diskussion ohne Anspruch auf Vollständigkeit oder einer Plausibilitätsprüfung.

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Es gab zwei Phasen ohne Diskussion (Gründe der Krise und Rolle der Wissenschaften in der Krise) und eine Schlussphase mit einem unerwarteten Intermezzo über ein aktuell heißes hochschulpolitisches Thema der Uni Wien (Stichwort: Kollektivvertrag), wobei aber von Seiten der Moderation versucht wurde zu verhindern, dass der Rest der Diskussion durch dieses Thema beherrscht wurde (was sich IMHO nicht völlig verhindern ließ).
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Lehrqualität: Basel ruft Wien

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Vergangene Woche fand an der Universität Wien eine Tagung zur Qualität von Studienprogrammen statt. Dazu eine kleine Vignette.

Eingeladen war u.a. Frau Susanne Schmetkamp vom Philosophisches Seminar der Universität Basel. Sie stellte dar, wie sorgfältig die Studierenden in Basel in die Philosophie eingeführt werden. Die Homepage beschreibt es so:

Zum Grundstudium in den ersten beiden Studienjahren gehören drei tutoriengestützte obligatorische Grundkurse: der Grundkurs Theoretische Philosophie, der Grundkurs Praktische Philosophie und der Grundkurs Logische Propädeutik. Diese Veranstaltungen werden jährlich angeboten. An den begleitenden Tutorien nehmen maximal 12 Studierende teil.

Soweit, so gut. Die Sache hat aber noch einen anderen Aspekt. Die Chefin Frau Schmetkamps war eine der Wissenschafterinnen, die vergangenen Herbst unsere Fakultät evaluierten. In ihrem Bericht regte sie diese Art von Tutorien an. Dazu muss man allerdings wissen, dass an der Universität Basel etwa ein Zehntel soviel Personen Philosophie studieren, wie in Wien.

Es ist ein amüsanter Zusammenhang. Die internationale Qualität verlangt, dass wir aus dem Ausland evaluiert werden. Von dort kommen Philosophinnen aus komplett verschiedenen Kontexten. Sie beurteilen uns nach ihren mitgebrachten Kriterien, die wir nicht erfüllen können, weil das Finanzwesen in einen Lachkrampf ausbricht, wenn wir die Mittel dazu fordern.

We want to hear your opinion

Als Teil des gesamteuropäischen Initiative EURAXESS – Researchers in Motion (http://ec.europa.eu/euraxess/) bietet das österreichische Netzwerk umfassende Informationen für Forscher/innen und Wissenschafter/innen aus dem In- und Ausland. Ansprechpartner/innen des Netzwerkes sind am österreichischen Forschermobilitätsportal, dem “Researcher’s Mobility Portal Austria” (www.euraxess.at), zu finden. Im Rahmen dieser Informationsplattform können mobile Forschende aller Alters- und Karrierestufen (Studierende, Nachwuchsforschende, erfahrene Forschende) zusätzlich Informationen über rechtliche, kulturelle und administrative Belange sowie Informationen zur Forschungslandschaft von 30 anderen europäischen Ländern finden.

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Es ist doch schön, wenn man gehört wird:

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Sprungbrett im Abseits?

Uniport ist das Karriereservice der Universität Wien, dessen Zielgruppe sich aus Studierenden und Unternehmen zusammensetzt:

  • Studierende und Absolventinnen (der Universität Wien) können sich registrieren und ein eigenes Profil erstellen, in der sie für Unternehmen relevante Informationen über sich zur Verfügung stellen. Außerdem haben sie Zugriff auf Stellenangebote. Man klassifiziert die studentische Zielgruppe als Zielflieger und das Service als Sprungbrett von der Uni in den Beruf.
  • Auf der anderen Seite können Unternehmen dem Service eine kostenpflichtige Anfrage stellen (Recruiting), in der sie nach Personen mit einem bestimmten Profil suchen.

Ich war heute mit sechs anderen Studierenden bei einem Workshop, in der der Geschäftsführer von Uniport eingeladen hat, Vorschläge zur Verbesserung der Kommunikation nach außen zu den Studierenden einzubringen, um das Service attraktiver zu machen (Erhöhung der Zugriffszahlen, der Anzahl der Registrierungen, der ausgefüllten Profile und der Teilnahmezahlen an den – teils kostenpflichtigen – Veranstaltungen). Eine spannende Diskussion mit einer skurrilen Erkenntnis. Read more

4. Oekonux Konferenz

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Vor einer Woche fand in Machester die 4. Oekonux-Konferenz statt. Die 3. Konferenz hatte ich (zusammen mit Franz Nahrada) 2004 in Wien veranstaltet, also war mein Interessse groß.

“There is probably no other place on this planet where engineers and political people, thinkers and practitioners, scientists and activists come together in such an open and constructive atmosphere,” said Stefan Merten, the main organizer and the founder of the Oekonux Foundation, at the closing session. (Christina Haralanova)

Und die Blogeinträge sind enthusiastisch: Notes from the Fourth Oekonux Conference I von Christian Siefkes. Extraordinary fourth Oekonux conference marks milestone for P2P movement schreibt Michel Bauwens, der Vorstand der Foundation for P2P Alternatives. Die Open Source Ecology von Marcin Jakubowski.

First of all for the Oekonux community itself (really an interlocking of
several inter-related networks, one of them being the P2P Foundation). I
attended the second one in Berlin some years ago, but missed the third in Vienna. An extraordinary maturation has occurred. The speakers, the
participants, the organizers, are no longer just discussing theory or
possibilities, but all are now practicioners, constructing the very world
and the very alternatives they are discussing. We are realizing how much we already know about successful patterns of practice. Oekonux has also
definitely outgrown its historical basis in the free software community, and has now fully embraced the full gamut of peer production, including the recent but very clear move towards peer production in the physical sphere, under the form of open design and open hardware. What is extraordinary is also the diversity: people of all age groups, a sizeable condition of the gender that is usually not very well represented in the FOSS community, people from all kind of career backgrounds and domains of practice, including a new breed of academics. It is altogether rare to find such a natural ‘interdisciplinary’ mix.

Tut mir leid, mir hat das nicht so gut gefallen.

  • Stefan Mertens Eröffnungsrede, die nur die alten Schlagworte wiederholte: “the dawning of a new age”. Und dazu Barack Obama bemühte: “Yes we can!”
  • Smári McCarthy, der die Deregulierung so weit treiben will, dass Kinder (verschiedener Altersstufen) wahlberechtigt sind.
  • Raoul Victor, ein überaus freundlicher Kollege, der träumerisch die Entmenschlichung durch die Geldwirtschaft und deren Verschwinden in einer Welt der peer production verkündete.
  • Und schließlich die Simultanconference am Ende, als drei Teilnehmer es sich nicht nehmen ließen, mehr oder weniger gleichzeitig ihre unterschiedlichen Ideen zu verkünden und auf die Tafel zu schreiben.
  • Diese Mischung aus ständiger Wiederkehr des Gleichen und in kurzer Zeit verpuffender Spontaneität ist nichts mehr für mich.

die vielen Schritte

One Step Beyond...
Image via Wikipedia

Alle drei Jahre ist Senatswahl. Wie im vergangenen Durchgang gibt es wieder 2 Listen für den “Mittelbau”. Die “Plattform für universitäre Mitbestimmung”, die Herbert Hrachovec als Spitzenkandidaten aufgestellt hat, und die Liste “Universität gemeinsam neu gestalten” – ULV. Natürlich ist es interessant zu sehen, wie die Konkurrenz sich darstellt.

Kurz gesagt: recht jovial.

Unsere Kandidaten Gerhard Ecker, Gaby Kucsko-Stadlmayer und Germain Weber arbeiten seit sechs Jahren als Senatsmitglieder dafür, Euch Perspektiven für Eure Laufbahn zu eröffnen.

Unser ZIEL ist, die Rolle junger Forschender und Lehrender zu stärken, damit Ihr die Universität als Stätte freier Reflexion erlebt und Euer Potenzial bestmöglich entfalten könnt.

Das klingt wie ein Prospekt der Grünen zur Gemeinderatswahl. (Ja, stimmt schon, ich bin parteilich.)

Wir arbeiten für Euch mit Wissen, Erfahrung, Beharrlichkeit und Verhandlungsgeschick!

Es ist eine eigenartig markierte Position, die Anrede mit “Ihr” und “Euch”. Warum ist mir das beim Verfassen meines Werbetexts nicht eingefallen? Der Unterschied liegt darin, wie man sich an das Publikum wendet. Ein “Schau mir in die Augen” statt einer Bilanz. Theatralisch.

QUELLEN, DIE DAS VERTRAUEN STÄRKEN

Als Erfolg dieser Politik werten wir die vielen Schritte, die das Rektorat in den letzten Jahren mit uns ging …

Als das letzte Rektorat die vielen Jahre Schritte mit uns dieser Erfolg ging. Politik. Werten.

Zum Vergleich der Wahlaufruf der PLUM. Satire auch dort erbeten.

Platon buchstäblich

Platons Ideenlehre ist ein großer Brocken. Hilfreich sind kleine Ableger, wie die folgende Bemerkung aus dem Staat, 402a. Sie zeigt, wie selbstverständlich diese philosophische Doktrin in gewisser Weise ist.

Gerade also, bemerkte ich, wie wir mit der Schrift damals genügend bekannt waren, als wir die wenigen Buchstaben in allem, worin sie vorkommen, zu erkennen wußten und weder in Kleinem noch in Großem sie mißachteten, als brauchte man sie nicht zu bemerken, sondern überall uns bemühten, sie zu unterscheiden, weil wir nicht eher Schriftkundige wären, bis wir uns auf dieser Stufe befänden.

Buchstaben können sehr verschieden aussehen. Eine Schrift hat man erst verstanden, wenn man die einzelnen Wahrnehmungen auf die jeweiligen Buchstabentypen bezieht. Sie sind die “Ideen”, welche der Wahrnehmungswelt vorausgehen, sofern sie nachvollziehbare Mitteilungen enthält.

Also auch die Bilder von Schriftzeichen, wenn sie uns etwa im Wasser oder in einem Spiegel sichtbar würden, werden wir nicht eher kennen, bis wir sie selbst kennen …

urbangrafitty

(Jazza, stock.xchng)

Woher kommt das Produkt?

Les Bienveillantes von Jonathan Littell ist eine eindringliche Lektüre. Ein fiktiver SS-Führer beschreibt seine Teilnahme am Krieg und an der Vernichtung. Nazi-Analogien werden in der Tagespolitik gerne dazu verwendet, aktuelle Beschuldigungen zu dramatisieren. Littells Buch geht in die andere Richtung. Es zeigt, wie zeitgenössische Worte und Einstellungen zum Verständnis der historischen Abläufe helfen können. Also z.B. die Zweckrationalität.

Ausschnitt aus Seite 538:

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Wie “Exzellenz” ist “Produkt” ein in den Superlativ der Abstraktion gesteigerter Terminus. Eine Art Ersatz – ich arbeite zur Zeit an Platon – für “das Gute”, “die Idee”. Und wie die alten Vorzeigebegriffe sind auch die neuen schnell in ihr Gegenteil zu drehen. Das Produkt ist die Destruktion.

Jedes Wort ein Hit

Gesellschaftsspiel: Stellen Sie einen mehrgliedrigen Titel zusammen, der mit jedem Bestandteil eine aktuelle Herrschaftsphantasie trifft.

Fertig? Mein Vorschlag:

integriertes Qualitätsmanagment System im Leistungsbereich Lehre

Was immer das heisst, die folgende Graphik gibt es mit Bestimmtheit gut wieder:

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Ich gehöre nicht zu den Berufsauguren, die monatlich den Verlust eines weiteren Kulturgutes beklagen. In frivoler Laune könnte ich mir sogar vorstellen, Hegels Komprehensivprogramm zur Durchgeistigung der Welt als “integriertes Qualitätsmanagment-System” zu bezeichenen. (Es geht um die unerbittliche Einholung eines Wahrheitsanspruchs.) Aber was zu viel ist, ist zu viel.

Die Universitätsleitung bestellt eine Anzahl von Bürokratinnen mit der Aufgabe, möglichst gut sichtbare Akte von “Qualitätsmanagment” zu setzen. Das braucht man in einer modernen Universität. Und diese Planungstätigkeit soll von den Trägerinnen der “Qualität” in Forschung und Lehre unterstützt werden. Um das zu erreichen hilft ein drohender Zeigefinger: “Wenn ihr nicht mitmacht, wird uns etwas von außen aufgezwungen.” Siehe Liverpool gerade vorher.

“Dann sollen sie verdammt nochmal den Universitäten ein Staatskommissariat vorsetzen.” Irgendwann ist es ehrlicher, fremd bestimmt zu werden, als – worauf ich mich immer wieder einlasse – die Zumutungen zu übernehmen.

Liverpool

University of Liverpool Guild of Students. Tak...
Image via Wikipedia

Es ist ein wenig wie ein Katastrophenfilm, den man vom sicheren Kinositz aus betrachtet. Nach einem schlechten Evaluationsergebnis hat die Leitung der Universität Liverpool angekündigt, das Institut für Philosophie zu schließen. Die Homepage des Instituts selbst darf offensichtlich nichts darüber berichten. Die Liverpool Daily Post gibt einen Überblick. Siehe auch den Bericht im Guardian.

Das Institut bietet, so die Begründung, keine “Weltklasseforschung”. Damit wird ein Schlagwort zum Schlagwort. “under-performing”, ‘realignment and repositioning, transfer of activity to another higher education institution, and closure’.

Und dazu die bekannten rhetorischen Gesten.

There is something terrible happening to higher education in Europe, on a European scale, it constitutes a real threat to the continued existence of what has been called “universities” for centuries in Europe, and it takes place almost unnoticed.

“re-alignment”,- we know that word, don’t we? It has been used before, in its German form, in the thirties. There and then it was called: Gleichschaltung. (Karin Verelst)

Some have compared the actions of the administration of the Council at the University of Liverpool to those of the Nazi and Stalinist regimes. Please stop with this nonsense. There are no concentration camps or gulags being proposed here and this only serves to make our cause look ridiculous to outsiders. (David Slakter)

UPDATE:

Es ist tatsächlich wie in einem Katastrophenfilm. Rettung ist in Sicht:

I am happy to be able to report that the threat to close down Philosophy, Politics and Statistics without proper review or consultation has receded. (Stephen Clark)