Festgefahren

“Eine männerfreie Gesellschaft ist möglich”

Das lese ich auf einem Plakat der Österreichischen Hochschülerschaft. Während einer von Studierenden selbst organisierten Lehrveranstaltung “Informatik und Geschlecht” haben wir darüber diskutiert. Wenn Sprechen Wirklichkeit schafft, praktiziert der Slogan nicht, was er – nach einer kurzen Überlegung – fordert.

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Der Handschuh

Raphael E. Bexten beginnt seine Rezension einer Heidegger-Dissertation mit einem amüsanten Zitat:

»›Ich kenne Deinen muffigen mittelalterlichen Satz vom Widerspruch. Esse et non-esse non possunt identificari. […] Aber der gilt nur jetzt. […] Nur im Augenblick. Es kann auch anders sein. Eines Tages wird Dein esse und Dein non-esse zusammengehen wie […] die Hand in einen Handschuh.‹«

Und er stellt diese Behauptung einem Zitat aus Heideggers “Wegmarken” gegenüber:

»Von der Metaphysik her begriffen (d. h. von der Seinsfrage aus in der Gestalt: Was ist das Seiende?) enthüllt sich zunächst das verborgene Wesen des Seins, die Verweigerung, als das schlechthin Nicht-Seiende, als das Nichts. Aber das Nichts ist als das Nichthafte des Seienden der schärfste Widerpart des bloß Nichtigen. Das Nichts ist niemals nichts, es ist ebensowenig ein Etwas im Sinne eines Gegenstandes; es ist das Sein selbst, dessen Wahrheit der Mensch dann übereignet wird, wenn er sich als Subjekt überwunden hat, und d. h., wenn er das Seiende nicht mehr als Objekt vorstellt.« (HEIDEGGER 2003, S.112f.)

Das Handschuh-Zitat beleuchtet, wenn man den Blickwinkel leicht korrigiert, die logischen Zusammenhänge präzise. Der Satz vom Widerspruch schließt aus, dass “sein” und “nicht sein” zusammen bestehen. Sie passen nicht zusammen. Wo ein Handschuh ist, kann nicht zugleich kein Handschuh sein. Und dennoch gilt auch: Sie passen sehr wohl zusammen, nämlich wie Handschuh und Hand. Das eine ist das Komplement des anderen.

Das ist die logischen Grundlage, die Heidegger mit sprachlichen Zaubereien ausmanövrieren will. Aus “nicht sein” wird Nichts und wo die Logik (nach Heidegger) nur Nichtiges ausmacht, wirkt das Nichts als Camouflage des Seins.

Daran ist verständlich, wohin schon der Handschuh weist. Im Rahmen der zweiwertigen Logik ist das Komplement einer Behauptung niemals unerheblich. Es ist im Gegenteil für ihr Funktionieren konstitutiv. Darüber kann man weiter phantasieren.

Gruppensteuerung

Die ausgeprägt hierarchische Struktur der Entscheidungsprozesse an der
Universität Wien ist hier immer wieder kritisiert worden. Es lohnt sich, im
Gegenzug auch einmal zu überlegen, wie es mit den Entscheidungsstrukturen in
traditionellen Gremien aussieht, z.B. in einer Berufungskommission.

Ich hatte unlängst Gelegenheit, festzustellen, dass dort durchaus keine
idealen Verhältnisse herrschen. Ein Unterschied zwischen
den “obrigkeitlichen” Beratungen, an denen ich als Vorsitzender der CK
teilnehme, und den fachnahen Treffen ist besonders hervorzuheben. “Oben” wird
kontrovers diskutiert; Alternativen werden überlegt. Dann fällt eine
Entscheidung – und daran halten sich die Beteiligten. Das liegt an der
Funktion der Gruppe: sie muss Initiativen umsetzen. In einer Kommission des
alten Stils verläuft das anders.

Hier gibt es keinen Druck (und bisweilen auch keine Bereitschaft), zu
gemeinsamen Lösungen zu kommen, die auf einer Einigung in der Sache beruhen.
Es geschieht leicht, dass ein Mitglied an seiner Meinung festhält, auch wenn
sie in der Diskussion von der großen Mehrheit abgelehnt wurde und als
Handlungsoption chancenlos ist. Wenn das einige Mitglieder (jeweils mit ihren
eigenen Standpunkten) praktizieren, verhindern sie die Einigung auf die
(beratungsgemäß) aussichtsreichsten Resultate.

Die Situation erklärt sich teilweise durch die Besonderheit der
wissenschaftlichen Arbeit. Anders als in politischen Prozessen können in der
Wissenschaft partikuläre Fachmeinungen erfolgreich sein. Der Weg vom Glauben
an den eigenen Expertinnenstatus zur Subversion kooperativer Anstrengungen
ist kurz. Und herzzerreissend sind die Ablenkungsmanöver, mit denen aus einem
derart gestörten Kooperationszusammenhang auf (Zitat) “die Gremien der
Qualitätssicherung” verwiesen wird. Dabei handelt es sich um nichts anderes,
als einen vom Rektorat eingesetzten “watchdog” zur Wahrnehmung der
obrigkeitlichen Befugnisse.

Steuerungsgruppe

A sculpture of a dinosaur and sheeps (10 meter...
Image via Wikipedia

Ein seit der Einführung des UG02 beliebtes hochschulpolitisches Schema besteht darin, die Chefetage der Universität rhetorisch zu attackieren. In der Senatssitzung vergangenen Donnerstag bot sich dazu eine gute Gelegenheit. Die Evaluierung des Organisationsplans, die insgesamt stockend vorankommt und von der zuletzt im Oktober des vergangenen Jahrs in einer anfangs missglückten Online-Befragung zu hören war, liegt noch immer auf Eis. Es wurde mitgeteilt, dass es nach über drei Monaten noch immer keine Auswertung dieser Aktion gibt.

Ich nahm das zum Anlass einer deutlichen Kritik am Rektorat, auf die von den
Verantwortlichen heftig repliziert wurde. Es war keine schöne Episode, doch dann kam doch ein erhellender Moment. Ein Mitglied des Senates bemerkte trocken “Es ist verabsäumt worden, eine Steuerungsgruppe einzusetzen”. Damit war der Nagel auf den Kopf getroffen.

Einerseits ist das eine Kritik am Rektorat. Vorhaben dieser Bedeutung verlangen, um sachgemäß durchgeführt zu werden, heutzutage eine solche Konstruktion. Das Rektorat weiß das sehr gut und praktiziert es für gewöhnlich auch. Es ist unprofessionell, sich das hier zu ersparen. Andererseits war es auch eine Kritik am Kritiker. Statt sich über die Unzukömmlichkeiten aufzuregen, hätte er besser dafür gesorgt, dass eine solche Gruppe vorgesehen wird.

Der Zwischenfall gibt auch über den Anlass hinaus zu denken. Das Muster oben/unten, Vertuschung und Enthüllung, ist reichlich abgenützt. Das macht man heutzutage anders. Man setzt ein “steering commitee” ein. Wer ist dafür verantwortlich? Nun, die Beschickung einer Steuerungsgruppe erfolgt durch eine (oder mehrere) Steuerungsgruppen. Die Aufsicht über sozialrelevante Prozesse liegt bei Honoratioren, die sich in diesen sozialen Bedingungen verdient gemacht haben. Das ist die Politik der Stoßdämpfung durch stoßgedämpfte Dämpfe.

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Gerechtigkeit ist unfair. Temporallogische Abfahrt

Eine neue Episode mit Impressionen aus Foliensätzen. Zwei Bilder und eine Formel aus einem Foliensatz über Zeitlogik zum Zwecke einer Überprüfung der Fairness-Eigenschaft, das ist der “gleichberechtigte und gleichmäßige Zugriff aller Teilnehmer eines Netzwerks auf die vorhandenen Netzwerkressourcen”.

Die beiden Bilder scheinen auf den ersten Blick recht ähnlich, doch die Suche nach dem Unterschied hat mich zu einem unerwarteten Gedankensprung geführt. Genauer geschah das, als ich um eine Interpretation der folgenden Formel rang:

Nach dem Break wird irgendwie zu rekonstruieren versucht, wohin der Sprung geführt hat, nämlich in poststrukturalistisches Gelände: Geisel, Alterität und Derrida’sche Gerechtigkeit.  Ob das gelingt?

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strukturelle Gewalt, Anti-Heteronormativität – aber worüber sprechen wir eigentlich?

Was mich zu Beginn des Studiums abgeschreckt hat, Kontakt mit der Studienvertretung der Informatik aufzunehmen, war der Ruf der radikal links-politischen Einstellung.  Ich habe aber beschlossen – 3 Jahre später – den Ruf zu ignorieren, den Leuten  zuzuhören und Fragen zu stellen. Im Rahmen eines von der /bin – der Basisgruppe für Informatik – veranstalteten Seminars hatte ich 3 Tage die Gelegenheit, in Diskussionen einen Crash-Kurs in die Grundsätze der /bin, in Basisdemokratie und geschlechtergerechte Sprache zu bekommen.

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Nach diesen Tagen intensiver Diskussionen und gemeinsamen Zusammenlebens muss ich sagen: Der Ruf ist nicht ganz unberechtigt, aber man muss es differenzierter sehen: Viele Diskussionspunkte finde ich bis zu einer gewissen Grenze berechtigt. Im Folgenden ein paar Reflexionen zu einem bestimmten Punkt: Read more

Woher kommt das Produkt?

Les Bienveillantes von Jonathan Littell ist eine eindringliche Lektüre. Ein fiktiver SS-Führer beschreibt seine Teilnahme am Krieg und an der Vernichtung. Nazi-Analogien werden in der Tagespolitik gerne dazu verwendet, aktuelle Beschuldigungen zu dramatisieren. Littells Buch geht in die andere Richtung. Es zeigt, wie zeitgenössische Worte und Einstellungen zum Verständnis der historischen Abläufe helfen können. Also z.B. die Zweckrationalität.

Ausschnitt aus Seite 538:

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Wie “Exzellenz” ist “Produkt” ein in den Superlativ der Abstraktion gesteigerter Terminus. Eine Art Ersatz – ich arbeite zur Zeit an Platon – für “das Gute”, “die Idee”. Und wie die alten Vorzeigebegriffe sind auch die neuen schnell in ihr Gegenteil zu drehen. Das Produkt ist die Destruktion.

Jedes Wort ein Hit

Gesellschaftsspiel: Stellen Sie einen mehrgliedrigen Titel zusammen, der mit jedem Bestandteil eine aktuelle Herrschaftsphantasie trifft.

Fertig? Mein Vorschlag:

integriertes Qualitätsmanagment System im Leistungsbereich Lehre

Was immer das heisst, die folgende Graphik gibt es mit Bestimmtheit gut wieder:

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Ich gehöre nicht zu den Berufsauguren, die monatlich den Verlust eines weiteren Kulturgutes beklagen. In frivoler Laune könnte ich mir sogar vorstellen, Hegels Komprehensivprogramm zur Durchgeistigung der Welt als “integriertes Qualitätsmanagment-System” zu bezeichenen. (Es geht um die unerbittliche Einholung eines Wahrheitsanspruchs.) Aber was zu viel ist, ist zu viel.

Die Universitätsleitung bestellt eine Anzahl von Bürokratinnen mit der Aufgabe, möglichst gut sichtbare Akte von “Qualitätsmanagment” zu setzen. Das braucht man in einer modernen Universität. Und diese Planungstätigkeit soll von den Trägerinnen der “Qualität” in Forschung und Lehre unterstützt werden. Um das zu erreichen hilft ein drohender Zeigefinger: “Wenn ihr nicht mitmacht, wird uns etwas von außen aufgezwungen.” Siehe Liverpool gerade vorher.

“Dann sollen sie verdammt nochmal den Universitäten ein Staatskommissariat vorsetzen.” Irgendwann ist es ehrlicher, fremd bestimmt zu werden, als – worauf ich mich immer wieder einlasse – die Zumutungen zu übernehmen.

sehr, sehr

Zum untenstehenden Leserbrief in “Der Presse” gab es Dienstag eine Reaktion. Der “sehr untergriffigen” Kritik wurden die regelmäßig “sehr positiven” Ergebnisse der Evaluation entgegengehalten, die diese “sehr, sehr überzeugten Hegelianer” offenbar nicht kennen.

Das ist auch nicht verwunderlich, denn bisher wurde das Institut einmal evaluiert (vor 5 Jahren).

Die sehr untergriffige und undifferenzierte Kritik der Herren Höfler, Böhm, Kolar am Institut für Philosophie der Universität Wien steht in krassem Gegensatz zu den sehr po­sitiven Ergebnissen bei den internationalen Evaluationen, denen dieses Institut wie auch alle anderen Universitätsinstitute re­gelmäßig unterzogen wird. Die Behauptung, Dekan Kampits würde Diskussionen unterbinden, entbehrt jeder Grundlage: Das, Ge­genteil ist der Fall. Die Angreifer (zwei davon befinden sich im Ruhestand, einer steht in keinem Dienstverhältnis zur Universität) ge­hören größtenteils einer Gruppe von sehr, sehr überzeugten Hegelianern an, die glau­ben, seit dem Tod Hegels (1831) wäre nichts eigentlich Relevantes in der Philosophiegeschichte mehr geschehen. Dass am Insti­tut für Philosophie sowohl historische wie auch systematische Grundlagenforschung und Lehre betrieben wird wie auch Gegenwartsfragen aufgegriffen werden, lässt sich jederzeit der Homepage entnehmen.

o. Prof. Hans-Dieter Klein
stv. Institutsvorstand
des Instituts für Philosophie
Universität Wien

Preisfrage

Aus dem Alltag:

Abschließend bitte ich noch einmal um eine Auskunft, und zwar zu der unterschiedlichen Behandlung von SPL und Vize-SPL in den Curriculararbeitsgruppen.

Welche Begründung soll ich dafür angeben? Mein Vize-SPL nimmt bekanntlich eigenverantwortlich alle xxx Agenden wahr (laut Geschäftseinteilung zu Beginn der Funktionsperiode). Er wird also für die xxx als SPL die Sitzung der C-AG einberufen, vermutlich anschließend als stimmberechtigtes Mitglied den neuen Studienplan mitbestimmen, diesen dann als SPL mit Kommentar weiterleiten und ihn schließlich administrieren. Ich hingegen werde für die xxx als SPL die Sitzung der C-AG einberufen, als beratendes Mitglied an der C-AG teilnehmen, den neuen Studienplan mit Kommentar weiterleiten und ihn dann als SPL administrieren. Welche sachlichen Gründe sprechen für diese Ungleichbehandlung?