Die Sprengkraft der Kausalität beim frühen Kant

Kontext: Diskussion um den Handschuh

Gerade lese ich ein Vorlesungsskript von Richard Heinrich “Kant und die Methode der Philosophie”, die das Thema um den Satz vom Widerspruch für mich ein wenig relativiert. Da zeigt sich, dass neben der logischen Entgegensetzung,  aus der ein Widerspurch und  damit “das Nichts” folgt (bzw. in modernen Logik-Systemen, jede beliebige Aussage), im Kontext mit dem Begriff der Kausalität eine andere Art von Entgegensetzung sichtbar wurde, wo aus der Entgegensetzung zwar eine Aufhebung erfolgt, die aber selbst etwas ist: die Realrepugnanz.

Wenn zwei Personen mit gleich großer Kraft an zwei entgegengesetzten Enden eines Seils ziehen, so ändern sie nicht ihre Position, weil die Kräfte entgegen gesetzt sind und sich gleichsam aufheben. Trotzdem ist nicht die eine Kraft richtig, die andere nichtig (wie das auf der logischen Ebene der Fall wäre), sondern beide sind etwas und ergeben sich zu 0, was selbst wieder etwas ist.

Kant interessiert hier nur der spezielle (harmonische?) Fall, wo sich die Kräfte zu 0 aufheben. So wie ich die Welt erlebe, sitzt aber meist eine Kraft am längeren Ast und zieht die andere zu sich; also eine gewisse Asymmetrie. (Vgl. Differenztheorie: Unterscheidung in zwei Seiten und Bezeichnung einer Seite; was Form/Inhalt  ablöst zugunsten Medium und Form)

Licht ins Dunkel

Parmenides ist in seinem Lehrgedicht an eine Grenze gewöhnlicher Satzbildung gestoßen. In Sätzen wird einem Subjekt etwas zugesprochen. Irgendetwas ist blau, entfernt, in Entwicklung. Kann man denken (oder sagen), dass es etwas gibt, dem keinerlei Zuschreibung zukommt? Etwas, dem es eigen ist, dass ihm nichts zukommt? Sehr abgekürzt und transformiert ausgedrückt: Kann man vom Nicht-Seienden sagen, dass es ist?

Die Konsequenzen wären tiefgehend. Es wäre unmöglich, “aus dem Sein zu fallen”. Die Gestalt unserer Sätze sieht keine prinzipielle Kehrtwendung vor. “So bleibt noch die Kunde des einzigen Weges: Das Sein ist.” Widerspruch zwecklos.

Platon hat das Thema im “Sophistes” aufgenommen und Parmenides kritisiert. Bewegung ist eine Mixtur zwischen sein und nicht sein.

Also ist ja notwendig das Nichtseiende (τὸ μὴ ὂν), sowohl an der Bewegung als in Beziehung auf alle andere Begriffe (κατὰ πάντα τὰ γένη).

Platon schwindelt allerdings ein wenig. Zwischen “Sein” und “Nichtsein” besteht ein glatter, dualer Gegensatz, der sich sprachlich in der ja/nein-Kontradiktion ausdrückt. (Das ist der Ein-Aus-Schalter). So läßt sich niemals die Bestimmtheit einzelner Dinge beschreiben. Sie ist differenziert. Um die Verschiedenheit zu beschreiben, benötigt man einen anderen Gebrauch der Negation.

GAST: Wenn wir Nichtseiendes sagen, so meinen wir nicht, wie es scheint, ein entgegengesetztes des Seienden, sondern nur ein verschiedenes.

ὁπόταν τὸ μὴ ὂν λέγωμεν, ὡς ἔοικεν, οὐκ ἐναντίον τι λέγομεν τοῦ ὄντος ἀλλ᾽ ἕτερον μόνον.

“enantion” ist der Gegensatz, “heteron” das Unterschiedliche. Am Gleitregler (im vorigen Beitrag) verdeutlicht heißt das: Auf einer Skala gibt es voneinander definit unterschiedliche Zustände, die alle im Bereich der Lichtstärke angesiedelt sind. Noch so dunkel, noch so hell – alles ist Licht. Zweitens gibt es Strom oder nicht Strom, hell oder dunkel. Sätze sind eine Doppelkonstruktion. Sie unterliegen der Logik der Affirmation und Negation, und sie bestehen aus Satzformen, die auf diverse Inhalte verweisen.

Der Handschuh

Raphael E. Bexten beginnt seine Rezension einer Heidegger-Dissertation mit einem amüsanten Zitat:

»›Ich kenne Deinen muffigen mittelalterlichen Satz vom Widerspruch. Esse et non-esse non possunt identificari. […] Aber der gilt nur jetzt. […] Nur im Augenblick. Es kann auch anders sein. Eines Tages wird Dein esse und Dein non-esse zusammengehen wie […] die Hand in einen Handschuh.‹«

Und er stellt diese Behauptung einem Zitat aus Heideggers “Wegmarken” gegenüber:

»Von der Metaphysik her begriffen (d. h. von der Seinsfrage aus in der Gestalt: Was ist das Seiende?) enthüllt sich zunächst das verborgene Wesen des Seins, die Verweigerung, als das schlechthin Nicht-Seiende, als das Nichts. Aber das Nichts ist als das Nichthafte des Seienden der schärfste Widerpart des bloß Nichtigen. Das Nichts ist niemals nichts, es ist ebensowenig ein Etwas im Sinne eines Gegenstandes; es ist das Sein selbst, dessen Wahrheit der Mensch dann übereignet wird, wenn er sich als Subjekt überwunden hat, und d. h., wenn er das Seiende nicht mehr als Objekt vorstellt.« (HEIDEGGER 2003, S.112f.)

Das Handschuh-Zitat beleuchtet, wenn man den Blickwinkel leicht korrigiert, die logischen Zusammenhänge präzise. Der Satz vom Widerspruch schließt aus, dass “sein” und “nicht sein” zusammen bestehen. Sie passen nicht zusammen. Wo ein Handschuh ist, kann nicht zugleich kein Handschuh sein. Und dennoch gilt auch: Sie passen sehr wohl zusammen, nämlich wie Handschuh und Hand. Das eine ist das Komplement des anderen.

Das ist die logischen Grundlage, die Heidegger mit sprachlichen Zaubereien ausmanövrieren will. Aus “nicht sein” wird Nichts und wo die Logik (nach Heidegger) nur Nichtiges ausmacht, wirkt das Nichts als Camouflage des Seins.

Daran ist verständlich, wohin schon der Handschuh weist. Im Rahmen der zweiwertigen Logik ist das Komplement einer Behauptung niemals unerheblich. Es ist im Gegenteil für ihr Funktionieren konstitutiv. Darüber kann man weiter phantasieren.

Zur Raum- und Ressourcenfrage

Im Kontext der Debatte um Studienplatzfinanzierung und Zugangsbeschränkungen wird oft ein reziproker Zusammenhang zwischen Studierendenzahl und Qualität des Studiums hergestellt, etwa: Bei einem schlechten Betreuungsverhältnis kann man keine gute Lehre machen, darum sind Zugangsbeschränkungen notwendig. Das mag für gewisse Formate von Lehrveranstaltungen (etwa ganz krass bei Übungen ab dem zweiten Studienjahr des Medizinstudiums, nachdem ein Grundstock des Faktenwissens aufgebaut wurde und wo es um praktische Belange geht, die am Besten mit individueller Anweisung gelernt werden) zutreffen. Doch ein großer Teil von Zeit- und Geld-Ressourcen wird momentan verwendet, jedes Jahr dasselbe Programm durchzuziehen, völlig unabhängig von Studierendenzahl und aktuellen Entwicklungen, oder Wortmeldungen der Studierenden.  Das ist gar keine Kritik am Inhalt sondern eine Frage, ob Lehrende einer Universität auf diese Art ihre Zeit und Energie verwenden sollten? (Man könnte böse gesagt von Rationalisierungsmaßnahmen sprechen; jedoch verlöre niemand seinen Job: Man hätte mehr Zeit für so dringend benötigte Dinge, nämlich individuelle Betreuung und Forschung bzw. forschungsnahe Lehrveranstaltungen)

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What is the Matrix?

Gerade arbeite  ich mich durch den Endbericht der Evaluation des Organisationsplans. Es wurden Interviews und auf Basis derselben Online-Surveys durchgeführt. Das wichtigste der ersten 10 Seiten: Unzufriedenheit über zu stark gesteuerte Kommunikationsprozesse (“Befehlsempfänger”), des Organisationsplanes im Allgemeinen (beim wissenschaftlichen Personal) und über das UG 2002. Dann wird gefragt, welches Profil durch den Organisationsplan gestärkt würde:  “WissenschafterInnen benennen hier an erster Stelle die „Matrixstruktur von Forschung und Lehre“ (gleichbedeutend mit einer tendenziell voneinander unabhängigen Organisation von Forschung und Lehre)” Was bedeutet das?

Rot oder Blau?

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Kronenzeitungsniveau

“Die Presse” brachte am Montag einen Bericht über den österreichischen Bologna-Komplex. Er ist gezeichnet von ROSA SCHMIDT-VIERTHALER UND CHRISTOPH SCHWARZ. Die Recherche führte Frau Schmidt-Vierthaler auch zu mir. Ihre Sachkenntnis zeigte sie mit der Frage, warum die Institute nicht konsultiert wurden, als man freie Wahlfächer aus den Curricula nahm. Die Seriosität ihrer Berichterstattung läßt sich aus der folgenden Dokumentation ermessen.

Eine Frage lautete, warum die freien Wahlfächer in einigen Studien stark reduziert wurden. Das schrieb ich zurück:

“Auf die Schnelle” ist sie nicht zufriedenstellend zu behandeln. Das beginnt damit, dass es im juridischen Sinn nirgendwo mehr “freie Wahlfächer” gibt. Die waren eine Erfindung des UniStG 1998, was eine eigene Geschichte ist. Mit der Bologna-Umstellung ergibt sich die Frage, wieviel “Bewegungsspielraum” in den neuen Curricula vorzusehen ist und zwar – anders als in den Diplomstudien – in einer Bachelor/Master-Abfolge.

Darüber muss man sehr genau sprechen. Die kurze Antwort auf Ihre Frage ist (das ist jetzt meine zusammenfassende Einschätzung): Eine inadäquate Regelung aus 1998 ist unter den Voraussetzungen der Hochschulautonomie an verschiedenen Universitäten und in verschiedenen Studienrichtungen in unterschiedlicher Weise korrigiert worden.

Daraus wurde Folgendes:

Für die Reduktion der Wahlfächer verantwortlich sind die Senate. Der Senat der Uni Wien sieht Wahlfächer als „inadäquate Regelung eines überholten Uni-Gesetzes“.

“Wahlfächer” kommen in den meisten bestehenden Curricula vor, “freie Wahlfächer” sind, wie ich deutlich machte, eine Kreation des UniStG 1998.

Es ist, wie wenn mich jemand fragt, warum ich laute Musik problematisch finde. Ich antworte, weil laute Musik meine Ohren geschädigt hat. Und die Person verbreitet nun, dass ich Musik problematisch finde, weil sie meine Ohren schädigt.

xybernetiz

Critical Inquiry is a n important US-american journal which, in his current edition, contains an article by Lydia H. Liu, entitled: “The Cybernetic Unconscious: Rethinking Lacan, Poe, and French Theory”.

It is well known that the term “cybernetics” derives from the greek expression for steersman. And there is some intellectual capital to be gained if you demonstrate your knowledge of the Greek language. So we get the following explanation:

Unfortunately, the first as well as the last letter are are wrong. It should be “κυβερνητης”. This is an embarrassing faux pas, really. The author (or proof reader) is showing her incompetence in the very act of trying to show off her erudition.

It also is painful for someone noticing the glitch. Should one just disregard it as an unfortunate accident – or should one complain, since classical education matters? Which amounts to boasting about the very same competence the author seems to lack.

Apologie des Handels

Wer Goethe liest, der setzt sich gezwungenermaßen mit kontingenten Lebenszielen auseinander. Bei besonders argen Fällen setzt Goethe aber noch eins drauf und verleiht auch den scheinbar unerwünschten Ansichten einen Antrieb zur Formgebung, zur bildenden Vereinigung von “Form und Sache”, der diese sogar neben der künstlerischen Formgebung immernoch gut wegkommen lässt.

Gleich am Anfang der Lehrjahre gibt es eine kleine Auseinandersetzung zwischen Wilhelm und seinem Freund Werner: die “Apologie des Handels”. Es ist in gewissem Sinn ein Glanzstück der Irritation, wie Werner seinem Freund die Welt des Kaufmanns schmackhaft machen will.

Leider siehst du nicht, mein Freund, wie Form und Sache hier nur eins ist, eins ohne das andere nicht bestehen könnte. Ordnung und Klarheit vermehrt die Lust zu sparen und zu erwerben. Ein Mensch, der übel haushält, befindet sich in der Dunkelheit sehr wohl; er mag die Posten nicht gerne zusammenrechnen, die er schuldig ist. Dagegen kann einem guten Wirte nichts angenehmer sein, als sich alle Tage die Summe seines wachsenden Glückes zu ziehen. Selbst ein Unfall, wenn er ihn verdrießlich überrascht, erschreckt ihn nicht; denn er weiß sogleich, was für erworbene Vorteile er auf die andere Waagschale zu legen hat. Ich bin überzeugt, mein lieber Freund, wenn du nur einmal einen rechten Geschmack an unsern Geschäften finden könntest, so würdest du dich überzeugen, daß manche Fähigkeiten des Geistes auch dabei ihr freies Spiel haben können.
[…]
Glaube mir, es fehlt dir nur der Anblick einer großen Tätigkeit, um dich auf immer zu dem Unsern zu machen; und wenn du zurückkommst, wirst du dich gern zu denen gesellen, die durch alle Arten von Spedition und Spekulation einen Teil des Geldes und Wohlbefindens, das in der Welt seinen notwendigen Kreislauf führt, an sich zu reißen wissen. Wirf einen Blick auf die natürlichen und künstlichen Produkte aller Weltteile, betrachte, wie sie wechselsweise zur Notdurft geworden sind! Welch eine angenehme, geistreiche Sorgfalt ist es, alles, was in dem Augenblicke am meisten gesucht wird und doch bald fehlt, bald schwer zu haben ist, zu kennen, jedem, was er verlangt, leicht und schnell zu verschaffen, sich vorsichtig in Vorrat zu setzen und den Vorteil jedes Augenblickes dieser großen Zirkulation zu genießen! Dies ist, dünkt mich, was jedem, der Kopf hat, eine große Freude machen wird.
[…]
Besuche nur erst ein paar große Handelsstädte, ein paar Häfen, und du wirst gewiß mit fortgerissen werden. Wenn du siehst, wie viele Menschen beschäftiget sind; wenn du siehst, wo so manches herkommt, wo es hingeht, so wirst du es gewiß auch mit Vergnügen durch deine Hände gehen sehen. Die geringste Ware siehst du im Zusammenhange mit dem ganzen Handel, und eben darum hältst du nichts für gering, weil alles die Zirkulation vermehrt, von welcher dein Leben seine Nahrung zieht.
[…]
Es haben die Großen dieser Welt sich der Erde bemächtiget, sie leben in Herrlichkeit und Überfluß. Der kleinste Raum unsers Weltteils ist schon in Besitz genommen, jeder Besitz befestigt, Ämter und andere bürgerliche Geschäfte tragen wenig ein; wo gibt es nun noch einen rechtmäßigeren Erwerb, eine billigere Eroberung als den Handel? Haben die Fürsten dieser Welt die Flüsse, die Wege, die Häfen in ihrer Gewalt und nehmen von dem, was durch- und vorbeigeht, einen starken Gewinn: sollen wir nicht mit Freuden die Gelegenheit ergreifen und durch unsere Tätigkeit auch Zoll von jenen Artikeln nehmen, die teils das Bedürfnis, teils der Übermut den Menschen unentbehrlich gemacht hat? Und ich kann dir versichern, wenn du nur deine dichterische Einbildungskraft anwenden wolltest, so könntest du meine Göttin als eine unüberwindliche Siegerin der deinigen kühn entgegenstellen. Sie führt freilich lieber den Ölzweig als das Schwert; Dolch und Ketten kennt sie gar nicht: aber Kronen teilet sie auch ihren Lieblingen aus, die, es sei ohne Verachtung jener gesagt, von echtem, aus der Quelle geschöpftem Golde und von Perlen glänzen, die sie aus der Tiefe des Meeres durch ihre immer geschäftigen Diener geholt hat.

Beeindruckt zeigte sich auch schon Schiller in einem Brief an Goethe (Jena, 9. Dezember 1794):

Die Apologie des Handels ist herrlich und in einem großen Sinn. Aber daß Sie neben dieser die Neigung des Haupthelden noch mit einem gewissen Ruhm behaupten konnten, ist gewiß keiner der geringsten Siege, welche die Form über die Materie errang.