A Fusion of Horizons?

Andreas Kirchner proposes some guidlines concerning the hermeneutic problems raised by Alain Badiou’s philosophical procedures. He has a suggestive way to describe what a (supposed) inconsistency found in a given text does: it triggers a plan B on part of the reader who supposedly wanted to “consume” the text “as is”. Now, there can be a great number of reactions to being faced with (partial) incomprehensibility. One can be confused, angry or overwhelmed. Hermeneutics is a plan B inasmuch it is a rule-governed enterprise, following an established methodology. One of its main rules is the “principle of charity” we have been discussing as applied to Badiou.

I want to make two points: (1) on the charitable view of Badiou’s use of mathematics and (2) on Gadamer’s “fusion of horizons” as an additional hermeneutical principle.

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Situations and Horizons

The side-discussion about understanding and the prinicple of charity (see article and comments here) does not seem finished to me. In this context, Gadamer comes to my mind: He speaks about the prejudice of perfection (of sense) that gets irritated as soon as the attempt to consider the text as true breaks down (Wahrheit und Methode, Bd. 1., ed. by Mohr, Tübingen 1990, p.299). That such a breakdown is possible indicates that “understanding is primarily to understand the case” and not the text as sequence of strings. In understanding the case, it is possible that something resists to fully accept the text, because the text cannot (always) create the topic/case it is talking about. The resistance could stem from (fruitful) prejudices or because of explicitly formulated judgments. Anyway, if the attempt to consider the text as adequate breaks down, it can lead – as a plan-B – to the effort ‘to understand’ the opinion of the other psychologically or historically.

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The Matheme of the Event

I am a fan of the (probably hermeneutic) idea that if one aims to write an adequate critics/response of a text, one needs to initially assume that the text, this crude and crazy production of thought – is actually adequate. Let’s undertake this apparently naive experiment, that everything written in the text in front of us is correct and if we work hard enough we can make sense out of it. The question then is to observ, pronounce and – if possible – overcome the resistances that our understanding produces when we read the text. With such an assumption we get the chance to describe arguments in the text in a way that makes it more accessible to others (who may have made similar reading-experiences). But secondly – I am convinced – it is one way to better locate flaws, when we at the same time keep in mind that this is an experiment – and that our initial assumption can arguable turn out to be wrong.

The following – very limited – examination deals with one aspect of “Being and Event” (BE), a major work of Alain Badiou, namely the “Matheme of the Event”. Badiou uses a set-theoretical framework in order to analyze how it is possible that a situation – shaped by structures, rules, habits, stabilized knowledge – gets disturbed such that novelties – new perspectives – emerge that were not thinkable within the situation before. The flash that disturbs the situation is called the event.

The context and motivation of this post are (1) recent, unsatisfying critiques and repliques about the status of mathematics in BE – published in Critical Inquiry and (2) the collection of Badiou-related postings in this blog:

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Das treue Subjekt

Ein Beispiel dafür, wie die Politik dem Formalismus Badious vorausgeht, sind seine “Matheme” in Sein und Ereignis 2. Das oben wiedergegebene formelartige Gebilde bezeichnet nach seiner an Lacan geschulten Methode das sujet fidèle (S.61, frz. Ausgabe). Als Erklärung erzählt Badiou die Geschichte vom Spartakusaufstand. Die Sklaven reagierten auf eine Botschaft: Wir wollen zurück nach Hause. Diese Devise trifft unterjochte Körper und führt zu einer Reihe von Entscheidungen, die eine (neue) Gegenwart eröffnen.

Das klingt ganz bieder, aber eigentlich auch wie eine Comicsversion von Geschichte: Inspiration – Mobilisierung – Aufbruch. Und dies ist nun genau der Sinn, den Badiou in das Mathem hineinlegt. Das Epsilon steht für die Spur eines Ereignisses, ein C für corps, unter dem Strich ist der Körper unterworfen. Zusätzlich sind diese unterworfenen Körper verstreut, ohne inneres Ordnungsprinzip, darum wird klein-c durchgestrichen. Disparate Körper unter dem Anspruch der Botschaft produzieren durch ihre Entscheidungen eine Gegenwart (presence, daher das Pi). Insgesamt haben wir es mit einem Subjekt in Treue gegenüber dem initialen Ereignis zu tun.

Diese Gegenwart ist auch eine neue Wahrheit. Sie war in den römischen Zuständen nicht vorhersehbar. Von daher ergibt sich ein Bogen zum Badiou-Zitat, das Andreas Kirchner im vorigen Beitrag anführt und das eine ähnliche Argumentationsform in der avancierten Mengentheorie reklamiert.

Das alles ist mit angehaltenem Atem geschrieben. Es gibt eine Stimme in mir, die einfach herausplatzen will: Was für ein Krampf! “Sowohl als auch”? Ich weiss nicht und brauche Zeit.

Sowohl als auch

In diesem Blog gab es bereits ein paar Artikeln zu Alain Badiou. In der Zeitschrift Critical Inquiry wurde in der Sommerausgabe 2011 eine kritische Analyse von Alain Badious Werk “Sein und Ereignis” geliefert. Die Autoren – die Gebrüder Nirenberg (Ricardo und David) – konzentrierten sich auf den mathematischen, konzeptuellen Bereich des Werks. Ist ihre Diagnose adäquat, hätte das negative Konsequenzen für die Glaubwürdigkeit des Projekts von “Sein und Ereignis”, in dem ein zentraler Eckpfeiler – Mengentheorie als Ontologie – ins Wanken gerät. Zuletzt wurde in derselben Zeitschrift auch eine Replik zur Kritik veröffentlicht, eingeleitet von Badiou und verfasst von zwei seiner “australischen Freunde” – Bartlett und Clemens: “Neither Nor”. Die Nirenberg-Brüder haben außerdem auf die Replik geantwortet.

Nachdem ich im Sommer die Nirenberg-Kritik gelesen habe, war mein Eindruck, dass sie zwar heikle Punkte erwähnten, dass einige der Einwände sich aber klären lassen, indem man Badious Verständnis von Ontologie ernst nimmt. Bei den anderen Punkten war ich interessiert, wie sich ein Philosoph der Gegenwart dieser Kritik stellen würde. Ich hatte also große Erwartungen an die Antwort von Badiou und dem Badiou-Freundeskreis.

“Aber was für eine Enttäuschung!” um es mit Badious eigenen Worten aus der Replik zu sagen. Mein erster Eindruck: Das ist unter dem Niveau einer wissenschaftlichen Diskussion. Ein destruktives Herumzanken. Personen wird mangelnde Kompetenz, Dummheit oder ideologische Voreingenommenheit unterstellt. Ich war enttäuscht von der harschen, unfreundlichen und proto-aggressiven Antwort, die an die Nirenberg-Kritik gerichtet war. So reagiert man also in der Badiou-Szene auf Versuche, (dunkle) Stellen in “Sein und Ereignis” skeptisch zu analysieren und in Frage zu stellen?

Nun, nachdem der erste Schock über den Stil etwas abgeklungen ist, ein Versuch, dieses Bündel von Kritiken und Repliken zu lesen und nennenswerte Punkte hervorheben. Immerhin geht es ja um ein interessantes, riskantes Thema,  ein zeitgemäßes Verständnis von Ontologie, von Wahrheit, Politik und Mathematik. Ziemlich viel… ich beginne in diesem Artikel mit dem kleinsten Text, Badious Einleitung von “Neither Nor”.

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Die Präsentation der Präsentation

Alain Badiou beginnt sein Buch “Sein und Ereignis” mit der Skizze eines zentralen ontologischen Problems. Das Sein zeigt sich — in der Welt, die aus Seiendem besteht. Es kann sich dort nicht selber zeigen, denn es ist einzigartig. Was ist dann Seiendes? Wie kommt das Eine zum Vielen und das Viele zur Einheit?

Eine Bedingung, die Badiou zur Lösung dieses Dilemmas angibt, ist resolut egalitär. Die Ontologie, die solche Fragen stellt, ist eine Situation, darin hat sie keinen Vorsprung vor allen anderen Situationen, in denen wir uns befinden. Mit diesen Festlegungen eröffnet er das Feld für weitreichende mathematische Spekulationen.

Man kann sich dem Problem mit Hilfe eines Experimentalfilms von Peter Kubelka annähern.
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Das Schlüsselwort Void – Prolog

Die idealen Sprachen sind mancherorts zu einem komplexen Geflecht von Grammatiken, Konventionen und Spezifikationen geworden. Versionierungen von Befehlssätzen sowie Normen zur Repräsentation von Zahlen sind nur zwei Beispiele. Man kann die (teils disruptive) Evolution von Architekturen nachvollziehen, die parallel verwendet und weiterentwickelt werden. Diese wurzelwerkartige Vielfalt ist eine Folge der Verwendung wohldefinierter Strukturen für bestimmte Zwecke. Damit kommen die idealen Sprachen wie ein Bumerang zurück zum Alltag und werden selbst zum Objekt für Betrachtungen und Experimente. Anders gesagt findet man Situationen – informatische Situationen – wo sich Begriffssysteme realisieren, mit dessen Hilfe man Abläufe nicht nur strukturieren sondern konkret ausführen kann.

Doch welchen Blickwinkel kann man noch einnehmen bei der Betrachtung der Inkarnationen idealer Sprache? Wieder den der idealen Sprachen wo es darum geht die Konzepte auf einheitliche Abstraktionsniveaus und verständliche Zusammenhänge zu bringen? Den der Alltagszwecke, in der die Adäquatheit von den Effekten abhängt, die die Verwendung der Sprache auf das Einsatzgebiet wirft?  In dieser Spannung von Wissenschaft, Pragmatik und Performance steht die Informatik, zunächst und zumeist. Zumindest das Folgende ist zu bemerken:  Programmiersprachen, so wie unsere Alltagssprache, sind nicht nur vorhandenes Werk sondern ebenso work in progress und nicht immer durchschaubar. Sie ermöglichen Abspaltungen, Dialekte, neue Verwendungsweisen; disruptiv oder allmählich. Und wichtig: Was man mit ihnen macht, strukturiert zunehmend den Alltag.

Ontologie ist weniger kompromissbereit. Sie möchte den kurzfristigen Alltagszwecken und damit den volatilen Strukturen widerstehen und die Frage stellen: Was strukturiert ‘das alles’? Vorsicht ist geboten, denn man kann sich – beim Absehen von als partikulär eingestuften Tatsachen und im Versuch, robust zu sein gegen einzelne Impulse – unwillkürlich in Spekulationen verlieren, d.h. Vermutungen anstellen, wie ‘das alles’ sein könnte, die sich jedoch nicht mehr so einfach in Verbindung bringen lassen mit dem, was tatsächlich und im Einzelnen passiert. Die Folgen formuliert ein Pop-Song: “I wish I could see myself in anything, now it seems nothing is everything.” (Lyrics)

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Der phantomhafte Rest

In der vierten Meditation von “Sein und Ereignis” erklärt Badiou, wie herkömmliche Situationen ablaufen und dass alles gezählt und strukturiert wird. Was nicht gezählt wird, ist nicht fassbar. Alles muss unter eine strukturierte Einheit gezählt werden. Wenn er dann sagt, dass dies, was man bei den herkömmlichen Situationen findet, genau die Umkehrung seiner Ausgangsthesen (z.B. das Eins ist nicht) ist, macht er für seine Situation einen Unterschied. Es ist ein Grenzfall, quasi eine Diagonalisierung (wenn wir schon bei Cantor sind), um zu zeigen, dass die Blickrichtung üblicher Situationen so strukturiert ist, dass das, worum es geht, nicht gefasst werden kann: die Mannigfaltigkeit. Sie ist deswegen wichtig, weil alle Situationen mit ihr umgehen, sich ihrer – jedoch inadäquat – zu bemächtigen suchen. Das was sie tun ist zwar gültig, aber nicht wahr, denn sie berücksichtigen ihre eigenen Umstände nicht.

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so und so

 

Beim Frühstück überfliege ich eine Schlagzeile:

US soldier killed for sport

Meine gesamte bisherige Lebensgeschichte steht zur Verarbeitung dieses flüchtigen Eindrucks zur Verfügung. Das Ergebnis ist als erster Gedanke: Oho, jemand hat sich einen Sport daraus gemacht, einen US-amerikanischen Soldaten zu töten. Dann beginne ich den Artikel zu lesen. Es stellt sich heraus, dass der Titel nicht passiv, sondern aktiv gemeint ist. Ein Soldat hat als Sport afghanische Zivilisten getötet.

 

Es gibt offensichtlich, trotz aller Erfahrungen seit dem Vietnamkrieg, eine subjektive Prädisposition, US-Soldaten als gut und eher als Opfer, denn als Täter zu sehen. In einer an Badiou angelehnten Terminologie, könnte man sagen, dass beim Frühstück eine inkonsistente Mannigfaltigkeit herrscht, bis sich eine Situation herauskristallisiert. Warum diese — und nicht jene? Die Frage ist unabweisbar, aber schwer zu bearbeiten.

 

Benvenuto Cellini’s Bronzeskulptur in Florenz zeigt Perseus, der das Haupt der Medusa hochhebt, die er getötet hat.

Medusa killed for power

Das weibliche Wesen ist tot, der Held und die Gorgone sehen wie Geschwister aus. Triumph und Trauer.

Tempel kaputt?

In diesem Blog gibt es einen instruktiven Beitrag zu Badiou. Die Wahrheit als Ereignis. Daran anknüpfend werden hier weitere Überlegungen zu Badiou angestellt werden. Sie halten sich an den Beginn von Das Sein und das Ereignis.

Badiou beginnt mit einem Hinweis auf Parmenides. Er stellt als These vor:

  1. was sich darstellt ist wesentlich vielfältig
  2. was sich darstellt ist wesentlich eines

Die Sätze bilden “das Eingangsportal eines zerstörten Tempels”. Sie lassen sich nämlich zu einer anscheinend ausweglosen Dialektik verbinden. Nach (2) denken wir uns eines, das einer Darstellung zugrund liegt, nach (1) denken wir, dass die Darstellung sich in einem zusätzlichen Medium abspielt und dem Dargestellten jedenfalls weiteres hinzufügt. Wie kann das zusammenpassen? Das Eine verliert sich im Vielen, welches seinerseits nicht zum Einen kommen kann.

Badiou beginnt mit einer sehr stilisierten Sicht auf Parmenides. Es lohnt sich, näher hinzusehen.

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