Markt Wirtschaft

In den Meldungen ist die Rede von unvorstellbaren Wertverlusten in der Finanzwirtschaft und vom Ende eines Systems. Die Geldbeträge, die zitiert werden, sind für unsereinen jenseits des Fassbaren. Das ist das Schockmoment, aber es wird sofort durch Verständnisversuche aufgefangen. Es ist nicht anders, als nach einem Tsunami oder dem Einmarsch in den Irak.

Wir antworten mit Klischees. Angesichts der Ereignisse ist alles andere unsachgemäß. Und gleichzeitig haben wir Gelegenheit, die Klischees zu zerlegen. Die Washington Post bringt einen hilfreichen Beitrag zur Erklärung der gegenwärtigen Situation. Ein Punkt fällt mir besonders auf.

Die Banken sollen gerettet werden, indem die US-Regierung die problematischen Wertpapiere kauft. Das klingt so, als wäre eine Firma auf einer alten Ware sitzengeblieben und würde Hilfe erhalten. So macht man das den Steuerzahlerinnen verständlich, aber der “revolutionäre” Aspekt der Sache geht tiefer. Die unverkäuflichen Wertpapiere können eben deshalb nicht im Wert bestimmt werden. Wenn der Markt für diese Papierscheine weggebrochen ist, fehlt der Mechanismus, den wir normalerweise zur Bewertung verwenden.

Ein Residuum bleibt zurück. Irgendetwas müssen diese Scheine doch wert sein. Wie ist das zu definieren? Damit verbindet sich die interessante Frage, wieviel Geld der Staat investieren soll/muss, um “Werte” zu erwerben, die sich aus den ökonomischen Transaktionen disqualifiziert haben – und damit die Ökonomie im Ganzen bedrohen.

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wortlos

Das Begräbnis Wendelin Schmidt-Denglers gestern war durch seine Schlichtheit wirksam. Unter den hunderten Teilnehmerinnen (m/w) gab es sicherlich zwei Dutzend, die schöne Reden hätten halten können. Das schien fast unvermeidlich, angesichts eines “wortgewaltigen” Professors, der in zentralen Institutionen dieses Landes verankert war. Die unverdrossene, in solchen Zusammenhängen immer etwas trotzige, Demonstration der “Kraft des Wortes”.

Das ist ausgeblieben. Es gab den Satz einer Beethovenschen Klaviersonate und die Ansprache des Priesters. Und – für die Wiener Bildungselite bemerkenswert – ein lautes, textgenaues Gebetsmurmeln im Ritus. Ein Meister der Formulierungen ist, das war vermutlich seine Absicht, ohne diese Sprachanstrengungen gefeiert worden.

Vom Konsument zum Teilnehmer. Eine neue Ökonomie?

Wolf Lindstrot gab ein interessantes Resümee der Ars Electronica in Linz bei netzpolitik.org. Die Indizien für einen gesellschaftlichen Umschwung mehren sich, insofern man immer öfters Forderungen, Versuche und Beiträge findet, die zum Thema haben, interaktivere, dynamischere Strukturen auf der Basis von Vernetzung zu realisieren und dadurch Kooperation mit den Teilnehmern erschließbar machen soll.

Auf YouTube werden Videos und Audios auf kreative Weise modifiziert, gemixed und parodiert (man spricht von der ReMix-Kultur). Was von einem wütenden Aufschäumen, Verklagen und Verfolgen, zu hohen Verlusten und Resignation der Film-&Musikindustrie geführt hat, mündet jetzt langsam in eine Gesprächsbereitschaft über die neuen Systeme. Man sieht sich nach alternativen Geschäftsmodellen sowie rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen um, die die kreativen Tätigkeiten von jenen Leuten, die vormals von den Unternehmen als passive Konsumenten eingestuft wurden, als Produzenten und Teilnehmer ernst nimmt und in die Infrastruktur miteinschließt.

Die „junge Generation“ will nicht mehr nur passiv konsumieren, sondern partizipieren, sich selbst ausdrücken, Vorgefundenes remixen und die Ergebnisse mit anderen teilen. Und die kritische Masse ist erreicht: Produktion und Vertrieb von kulturellen und wissenschaftlichen Erzeugnissen sind durch die Entwicklung der Technik und der Vernetzung so einfach geworden, dass die alte Spaltung in wenige professionelle Medien- und Kultur- ArbeiterInnen einerseits und die große, konsumierende Masse andererseits aufgehoben ist. Wir leben in einer Wissensgesellschaft, die eine Ökonomie des Teilens braucht, um des kulturellen, wissenschaftlichen und ökonomischen Fortschritts willens. Deshalb müssen, nachdem die Praxis im Internet Fakten geschaffen hat, endlich Wirtschaft, Politik und Gesetzgebung angepasst werden.

Auf der anderen Seite hat man gar keine Freude damit, wenn irgendjemand oder irgendetwas (z.B.: ein Algorithmus zur Erschließung der Inhalte für personalisierte Werbung) mit seinen IP-Adressen, Geburtsdaten, Kontonummern oder E-Mail-Inhalten herumpanscht (“Data-Mining”, Handel, etc.). Über diese Art von Eigentum will man dann (verständlicherweise?) doch noch seine eigene Verfügungsgewalt haben.

Zwei der großen Themengebiete, die die Online-Community beschäftigt: Geistiges Eigentum und Datenschutz. Geistiges Eigentum abschaffen und Datenschutz-Rechte forcieren? Diese Rechnung wird meiner Meinung nach ohne Kompromisse nicht aufgehen. Wenn man teilen will, wird man auch etwas von sich verraten (müssen). Im Netz ist es zwar immer möglich, seine Identität zu verschleiern, doch der durchschnittliche User achtet nicht darauf. Im Gegenteil: Manchmal schätzt er es sogar, wenn Amazon die richtigen Bücher für einen vorschlägt oder Google hiesige Reisebüros für deinen Urlaub parat hat, den du soeben deinen Freunden jubelnd per GMail verkündet hast.

Wendelin Schmidt-Dengler

Diesen Sonntag ist Wendelin Schmidt-Dengler plötzlich verstorben. Seine Verdienste als Wissenschaftler und Literaturkritiker sind von allen Seiten gewürdigt worden. Wenig erwähnt wurde sein hochschulpolitisches Engagement in der Zeit nach dem UG 2002. Schmidt-Dengler hat die Plattform für Universitäre Mitbestimmung seit ihrer Gründung aktiv unterstützt. Ich habe einige Briefe, in denen er uns ermutigt. Er ist auch mehrfach öffentlich gegen dieses Gesetz aufgetreten und hat schließlich mit einem kritischen Programm erfolgreich für den Senat kandidiert.

Die offizielle Mitteilung der Universität ist – sagen wir zurückhaltend. Auch die Senatsverlautbarung könnte man sich inhaltsreicher vorstellen. Das liegt daran, dass Schmidt-Dengler beide Institutionen sehr skeptisch beurteilt  hat. Dazu hatte er gute Gründe (die ich nicht immer teilte). Dieser Aspekt soll nicht in Vergessenheit geraten.

Das angeschlossene Video dokumentiert seinen Beitrag zu einer Podiumsdiskussion der PLUM im April 2008. Die gesamte Veranstaltung finden Sie an dieser Stelle archiviert.

Kampfkunst akademisch

Gestern hatte ich ein Interview für einen Bericht an das Wissenschaftsministerium. Die Kollegin wollte wissen, welche Rolle berufstätige Studierende an der Universität Wien spielen und was für sie getan wird. Ein Teil des Gespräches handelte davon, dass es (zumindestens) zwei Varianten von Berufstätigkeit gibt, (1) Arbeit, um das Studium zu finanzieren und (2) Beschäftigungen, die akademische Weiterbildung brauchen können. Bezüglich des zweiten Punktes machte ich deutlich, dass sich die Universitäten nicht als berufspraktische Ausbildungsstätten verstehen.

Als Kontrapunkt erreichte mich heute eine Aussendung der Donau-Universität Krems:

Das Forum Seminare der Donau-Universität Krems bietet PUNKTGENAUe
Weiterbildung für Praktiker/innen auf universitärem Niveau!

Eines der Angebote nennt sich “SCHWIERIGE GESPRÄCHE MEISTERN”. Es verspricht eine ungewöhnliche Mischung:

Häufig als Kampfsituation wahrgenommen, profitieren Sie durch einen
ganzheitlichen Zugang von der Kampfkunst Aikido für einen völlig neuen
Umgang mit Konflikten.

Der Nachteil dieses Angebotes ist lediglich, dass Teilnehmerinnen vorbereitend die deutsche Grammatik verlernen müssen, um die Werbetexte zu verstehen:

Häufig führen Konfliktgespräche in Starre und zu einem sich Verkrampfen, doch die körperliche Dimension bleibt oft zu wenig wahrgenommen. Mit Beispielen aus der Praxis der ReferentInnen und Übungen aus dem Aikido werden die Mechanismen und Kommunikationsmuster in Konflikten von zwei Seiten beleuchtet. Siehe Teilnahmegebühr € 780,00

Hier ein erster Eindruck von “neuen Verhaltensweisen in Kampfsituationen”:

[youtube -RaUpEMpxuY]

Militärparade

Am 29.August, auf der Rückreise vom Urlaub, Zwischenstation in Banska Bystrica in der mittleren Slowakei. Die Stadt sieht verlassen aus, jedoch am Marktplatz ist Betrieb. Würdenträger in Gruppen streben auf ein Cafe zu, darunter alte Herren in verschiedenen Uniformen, russische Militärattaches. Plötzlich fliegen drei urtümliche Doppeldecker über den Platz. Es scheint eine öde Heeresschau zu sein. (Beachtlich ist im folgenden Video der Abspann mit der Parole “Slavic Power”.)

[youtube fETvUVtFh5Y]

Was im Geschichtsunterricht nicht vorgekommen ist: am 29.8.1944 hat sich die Armee, zusammen mit den Partisanen, zum Slowakischen Nationalaufstand gegen die deutsche Besatzung erhoben. Er wurde blutig niedergeworfen. Zum 60. Jahrestag wurde diese Dokumentation erstellt.

Eine Spur im Stadtgeschehen. Von Banska Bystrica ist die Bewegung ausgegangen. Manchmal machen wir uns über Dinge lustig, vor denen wir besser Respekt hätten.

Markenname Wittgenstein

Das diesjährige Wittgensteinsymposium über “Reduktion und Elimination in Philosophie und den Wissenschaften” war ambitioniert und sehr gut besucht. Noch stärker, als im vergangenen Jahr, war das Interesse aus dem Osten, nah und fern. Das heißt: Polen, Tschechische Republik, Russland – aber auch Honkog, Taiwan und Japan.

Zur Eröffnung verursachte ein stellvertretender Sektionschef aus dem Wissenschaftministerium eine leichte Befremdung, als er den Wittgensteinpreis erwähnte, der mit dem Symposium gar nichts zu tun hat. (Es gibt den Wittgenstein-Preis des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung und den Ludwig Wittgenstein Preis der ÖFG.) Aber die Veranstaltung selbst war nicht besser.

Man könnte das heurige Symposium ein Anti-Wittgenstein-Symposium nennen. Einprägsam brachte das der bewundernswerte Patrick Suppes auf den Punkt:

Ich bin nun zum 4. Mal hier eingeladen und ich habe noch niemals einen ernstzunehmenden Satz über Wittgenstein gesagt.

Es ist ein einfaches ökonomisches Prinzip: Wer einen Markennamen besitzt, muss daran festhalten, um die Kundschaft nicht zu verwirren. Zum Thema “Reduktionismus” alleine kommen wenige Philosophen aus aller Welt nach Kirchberg. Da muss der Philosoph herhalten, der ein Kronzeuge gegen den Reduktionismus ist.

Die Begutachtungsfrist und der Minister

Heute endet die Begutachtungsfrist zur Novelle des UG 2002. Der Senat der Universität Wien hat

diese Stellungnahme abgegeben.

Das ist ein passender Zeitpunkt, sich nochmals in Erinnerung zu rufen, welche Auffassung von Wissenschaft der derzeit noch amtierende Wissenschaftsminister vertritt. Stefan Weber hat sie vor einiger Zeit zusammengetragen. Damals wurde das rasch applaniert.

UPDATE

Unter dieser Adresse habe ich eine detaillierte Analyse der ersten 100 Seiten der Dissertation (inklusive Faksimiles) hinterlegt.