Licht ins Dunkel

Parmenides ist in seinem Lehrgedicht an eine Grenze gewöhnlicher Satzbildung gestoßen. In Sätzen wird einem Subjekt etwas zugesprochen. Irgendetwas ist blau, entfernt, in Entwicklung. Kann man denken (oder sagen), dass es etwas gibt, dem keinerlei Zuschreibung zukommt? Etwas, dem es eigen ist, dass ihm nichts zukommt? Sehr abgekürzt und transformiert ausgedrückt: Kann man vom Nicht-Seienden sagen, dass es ist?

Die Konsequenzen wären tiefgehend. Es wäre unmöglich, “aus dem Sein zu fallen”. Die Gestalt unserer Sätze sieht keine prinzipielle Kehrtwendung vor. “So bleibt noch die Kunde des einzigen Weges: Das Sein ist.” Widerspruch zwecklos.

Platon hat das Thema im “Sophistes” aufgenommen und Parmenides kritisiert. Bewegung ist eine Mixtur zwischen sein und nicht sein.

Also ist ja notwendig das Nichtseiende (τὸ μὴ ὂν), sowohl an der Bewegung als in Beziehung auf alle andere Begriffe (κατὰ πάντα τὰ γένη).

Platon schwindelt allerdings ein wenig. Zwischen “Sein” und “Nichtsein” besteht ein glatter, dualer Gegensatz, der sich sprachlich in der ja/nein-Kontradiktion ausdrückt. (Das ist der Ein-Aus-Schalter). So läßt sich niemals die Bestimmtheit einzelner Dinge beschreiben. Sie ist differenziert. Um die Verschiedenheit zu beschreiben, benötigt man einen anderen Gebrauch der Negation.

GAST: Wenn wir Nichtseiendes sagen, so meinen wir nicht, wie es scheint, ein entgegengesetztes des Seienden, sondern nur ein verschiedenes.

ὁπόταν τὸ μὴ ὂν λέγωμεν, ὡς ἔοικεν, οὐκ ἐναντίον τι λέγομεν τοῦ ὄντος ἀλλ᾽ ἕτερον μόνον.

“enantion” ist der Gegensatz, “heteron” das Unterschiedliche. Am Gleitregler (im vorigen Beitrag) verdeutlicht heißt das: Auf einer Skala gibt es voneinander definit unterschiedliche Zustände, die alle im Bereich der Lichtstärke angesiedelt sind. Noch so dunkel, noch so hell – alles ist Licht. Zweitens gibt es Strom oder nicht Strom, hell oder dunkel. Sätze sind eine Doppelkonstruktion. Sie unterliegen der Logik der Affirmation und Negation, und sie bestehen aus Satzformen, die auf diverse Inhalte verweisen.

Der Handschuh

Raphael E. Bexten beginnt seine Rezension einer Heidegger-Dissertation mit einem amüsanten Zitat:

»›Ich kenne Deinen muffigen mittelalterlichen Satz vom Widerspruch. Esse et non-esse non possunt identificari. […] Aber der gilt nur jetzt. […] Nur im Augenblick. Es kann auch anders sein. Eines Tages wird Dein esse und Dein non-esse zusammengehen wie […] die Hand in einen Handschuh.‹«

Und er stellt diese Behauptung einem Zitat aus Heideggers “Wegmarken” gegenüber:

»Von der Metaphysik her begriffen (d. h. von der Seinsfrage aus in der Gestalt: Was ist das Seiende?) enthüllt sich zunächst das verborgene Wesen des Seins, die Verweigerung, als das schlechthin Nicht-Seiende, als das Nichts. Aber das Nichts ist als das Nichthafte des Seienden der schärfste Widerpart des bloß Nichtigen. Das Nichts ist niemals nichts, es ist ebensowenig ein Etwas im Sinne eines Gegenstandes; es ist das Sein selbst, dessen Wahrheit der Mensch dann übereignet wird, wenn er sich als Subjekt überwunden hat, und d. h., wenn er das Seiende nicht mehr als Objekt vorstellt.« (HEIDEGGER 2003, S.112f.)

Das Handschuh-Zitat beleuchtet, wenn man den Blickwinkel leicht korrigiert, die logischen Zusammenhänge präzise. Der Satz vom Widerspruch schließt aus, dass “sein” und “nicht sein” zusammen bestehen. Sie passen nicht zusammen. Wo ein Handschuh ist, kann nicht zugleich kein Handschuh sein. Und dennoch gilt auch: Sie passen sehr wohl zusammen, nämlich wie Handschuh und Hand. Das eine ist das Komplement des anderen.

Das ist die logischen Grundlage, die Heidegger mit sprachlichen Zaubereien ausmanövrieren will. Aus “nicht sein” wird Nichts und wo die Logik (nach Heidegger) nur Nichtiges ausmacht, wirkt das Nichts als Camouflage des Seins.

Daran ist verständlich, wohin schon der Handschuh weist. Im Rahmen der zweiwertigen Logik ist das Komplement einer Behauptung niemals unerheblich. Es ist im Gegenteil für ihr Funktionieren konstitutiv. Darüber kann man weiter phantasieren.

Der Schein billiger Überlegenheit

Habe mich vor ein paar Tagen mit Werken und Vorlesungen von Heidegger für die Semesterferien eingedeckt, eigentlich mit dem Ziel, eine kleine Arbeit über die Aristoteles-Interpretation von Heidegger (speziell für das Werk “Peri Hermeneias”) zu beginnen, die sich für das entsprechende Lektüreproseminar verwerten lässt.

Als jemand, der eine vage Vorstellung von der geschichtlichen Entwicklung der Logik bis zu ihrer Operationalisierung in der Informatik hat, ist mir GA 38 “Logik als die Frage nach dem Wesen der Sprache” ins Auge gesprungen. Leider muss man da schon in §1.c.alpha folgendes lesen:

“>A ist B< und >A nicht Nicht-B< können nicht zugleich wahr sein (gilt bis Hegel). Dies ist die Grundregel der Widerspruchslosigkeit.” (GA 38, S.2)

Wenn man die doppelte Negation (in einer klassischen Logik) auflöst kommt als Grundregel der Widerspruchslosigkeit raus: “A ist B” und “A ist B” können nicht zugleich wahr sein.

Hoffentlich war es nur ein Trankriptionsfehler oder ein Fehler von Wilhelm Hallwachs beim Anfertigen der Vorlesungsnachschrift:

“Nur eine lange und schmerzhafte Ablösung bringt uns ins Freie und bereitet vor, die neue Gestalt der Rede mit zu schaffen. Wir sagen uns los von jedem Schein billiger Überlegenheit, die in der Logik nur Formelkram sieht. Wir lernen ernst nehmen die Macht eines Denkens seit langem und dessen schöpferische Überwindung, ohne die ein Wandel unseres Daseins haltlos sein wird.” (GA 38, S.9)

Gerechtigkeit ist unfair. Temporallogische Abfahrt

Eine neue Episode mit Impressionen aus Foliensätzen. Zwei Bilder und eine Formel aus einem Foliensatz über Zeitlogik zum Zwecke einer Überprüfung der Fairness-Eigenschaft, das ist der “gleichberechtigte und gleichmäßige Zugriff aller Teilnehmer eines Netzwerks auf die vorhandenen Netzwerkressourcen”.

Die beiden Bilder scheinen auf den ersten Blick recht ähnlich, doch die Suche nach dem Unterschied hat mich zu einem unerwarteten Gedankensprung geführt. Genauer geschah das, als ich um eine Interpretation der folgenden Formel rang:

Nach dem Break wird irgendwie zu rekonstruieren versucht, wohin der Sprung geführt hat, nämlich in poststrukturalistisches Gelände: Geisel, Alterität und Derrida’sche Gerechtigkeit.  Ob das gelingt?

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“… der Landmann langsamen Schrittes …”

Das Denken legt mit seinem Sagen unscheinbare Furchen in die Sprache. Sie sind noch unscheinbarer als die Furchen, die der Landmann langsamen Schrittes durch das Feld zieht.

So endet Martin Heideggers “Brief über den Humanismus” (in den Wegmarken). Glatter Kitsch, aber bei Heidegger sind oft auch Überraschungen dabei.

Das Denken und sein Sagen. Das ist keine Argumentation und keine Untersuchung. Keine Analyse und keine Interpretation. Es heißt, den Suggestionen der Sprache entlang zu hanteln. Sprachliche Möglichkeiten aufzuackern. Es fragt sich allerdings, wieso das im ausgezeichneten Sinn “denken” heißt. Ich würde eher sagen: Heidegger geht auf Aufriss.

Badiou. Die Wahrheit als Ereignis

Habe heute in der Vorlesung “Das Subjekt nach dem ‘Tod des Subjekts'” eine Hinführung zu den Termen Situation, Ereignis, Ereignisstätte, Wahrheit in Badious Philosophie (“Das Sein und das Ereignis” und andere Werke) erlebt.

Dadurch kann man vielleicht (aktuelle) politische oder wissenschaftliche Vorgänge auf andere Weise sehen. Das folgende als potentieller Impuls. Read more

Bahnhof verstehen

Am Wochenende diskutierte die “Gruppe Phänomenologie” und Gäste in Otterthal politische und ästhetische Aspekte der Philosophie Jaques Ranciéres. Ein Thema war seine Charakterisierung des Systems “Kunst”. Wie scharf ist es von anderen Wahrnehmungsweisen und Praktiken abgegrenzt?

Als Beispiel brachte ich das folgende Video. Nach Ranciére ist die Kunst dafür zuständig, Aufteilungen des Sinnlichen zu re-organisieren. Zusammenhänge, die im Alltagsverlauf verborgen bleiben, werden durch Interventionen im Wahrnehmungsfeld sichtbar. Wie man hier sieht, verschwimmen die Grenzen.

un-flach

Dienstag das im vorigen Beitrag kritisierte Interview, Mittwoch eine Überraschung, Jacques Ranciéres Das Unvernehmen. Das ist wirklich eine eindrucksvolle Schrift. Zwei Punkte finde ich besonders markant.

  • die athenische Demokratie ist sozusagen passiert
  • sie besteht in einer strategisch-prinzipiellen Verdrehung

Demokratie ist nicht primär ein Ideal, dem wir nachzueifern haben und das immer nur unvollkommen realisiert wird. Historisch gesehen ist diese Staatsform in Athen dadurch entstanden, dass verschuldete Bürger nicht mehr versklavt werden durften. Damit wurde eine “Isonomie” wirtschaftlich unvergleichbarer Personen(gruppen) geschaffen. Die Philosophie reagiert darauf.

Wer kein Geld hat und nicht durch besondere Fähigkeiten auffällt, hat dennoch eine Qualität: er darf das Schicksal der Stadt frei mitbestimmen. Diese Freiheit hängt zwar völlig in der Luft, weil ihr jede sachliche Unterfütterung fehlt, aber sie ist – durch das Gesetz der größeren Zahl – der bestimmende Machtfaktor der civitas. Die leere Freiheit regelt die sachlichen Entscheidungen, das ist von Anfang an schief.

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Foto: ArtGeneric. Flickr 2440553349

Der Elfenbeinturm und seine Türen

Wo kämen wir hin, wenn Schuster ihre Schuhe nicht für die Allgemeinheit, sondern nur für Schuster anfertigen würden?

Diese Frage stellt Roland Reichenbach am dies facultatis der Fakultät für Philosophie und Bildungswissenschaft, nach der Antrittsvorlesung von Frau Violetta Waibel, und vergleicht sie (die Schuster) mit den Philosophen, die ihre Arbeiten nur für Fachkolleginnen schreiben.
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sehen, was man denkt

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Nochmals das Event Sonntag vor einer Woche. Ich habe es metaphysisch kommentiert, was angesichts der Möglichkeit des Todessprungs ja nicht verkehrt sein kann. Hinterher jetzt noch eine Beobachtung zur Wirksamkeit von Bildern, speziell von solchen, die Ideen darstellen.

Der Witz der Aktion in Staatz war in der Werbekarte deutlich sichtbar, ein Trampolin über dem Abgrund:

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Das war zu sehen, aber wie? Das heißt: Was hat jemand gesehen, der diese Karte in die Hand bekommen hat. In meinem Fall muss ich gestehen, dass ich es als ein Foto genommen habe. Sicher, der undefinierte schwarze Balken an der entscheidenden Stelle, an welcher das Brett befestigt ist, war mir aufgefallen. Aber den Mangel an Detail kompensierte die (halb-bewußte) Überlegung, das sei eine Unzulänglichkeit des Fotos, z.B. fehlendes Licht. Mit klarem Blick kann jede sehen, dass es sich um eine Photoshop-Kreation handelt.

Die Idee hat die Sichtbarkeit überlagert. Oder platonisch formuliert: Was man im Kopf hat, ist eben besser sichtbar, als was die Augen bieten. Die “Unaufmerksamkeit” den Details gegenüber hat den Witz der Installation hervorgehoben, da spielt die Mechanik eine nachgeordnete Rolle. Wer will schon wissen, wie das blöde Brett technisch befestigt ist?

Fernsprung_Staatz

Und hier der Wortbeitrag:

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