Kein leeres Blatt

Vor 2 Wochen wurde ich auf Facebook nominiert. Eine Art virale Kampagne. Die Anleitung lautete in etwa:

  • Nimm ein leeres Blatt Papier.
  • Schreibe eines deiner Talente auf das Papier.
  • Poste in Facebook/Twitter ein Selfie, auf dem du mit dem Blatt zu sehen bist.
  • Nominiere drei Freunde.

Hier bitte, mit einer kleinen Verschiebung:

Verspielte_Ernsthaftigkeit
Kein leeres Blatt
ein gerastertes, palimpsestartiges Gebilde
eine Schicht verblasst
Neues schreibt sich in das Bestehende ein
manchmal von unserem Willen gestaltet

Im Rücken die Bücher
so zeige ich euch Text auf einem Tablet
man photographiert nicht gegen das Licht
darum bleibt der Bildschirm schwarz
Eine App modifiziert einige Pixel
und hinterlässt eine Signatur im Bild
ohne mich zu fragen

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Brennende Fragen

Ein Auftritt des Künstlers und Absolventen des Philosophiestudiums David Wendefilm alias David Tynnauer in der Vorlesung “Antiakademisches Philosophieren” und die daran anschließende Diskussion im Philosophieforum hat mich dazu motiviert, einen unfertigen Blogpost über die Tätigkeit des Studierens umzuschreiben.

Alexander Van der Bellen hat in seiner letzten Rede im Parlament darauf hingewiesen, dass man an der Uni nicht lernt, wie man gute, ausgefeilte Reden vor einem großen Publikum hält, sondern “auf der Uni sind wir gewohnt, alles zu überdenken, neu zu prüfen; könnt nicht irgendwo ein Fehler sein, usw.”

Der Auftritt von Herrn Wendefilm wirkt sehr souverän; was angesichts der Rückmeldungen des Publikums und dessen, was man sonst so bei Referaten in Seminaren am Institut kennt, bemerkenswert ist. Ich möchte mir die Sache näher ansehen.

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Lechner Edi Reloaded?

Jura Soyfer‘s Stück Der Lechner Edi schaut ins Paradies” handelt davon, dass der arbeitslose Lechner Edi während der Wirtschaftskrise der 30er-Jahre auf einem Elektromotor von der Schuhfabrik seines ehemaligen Arbeitgebers zurück durch die Zeit fliegt, um den Schuldigen für seine Arbeitslosigkeit und Lebenssituation zu finden. Er gibt irgendwann die Suche auf und endet mit “Auf uns kommt es an!”.

Der nach Soyfer benannte Hörsaal in der Hofburg wurde am 14. April zu einem Schauspiel im Spannungsfeld zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und politischer Repräsentation. Man wurde – neben Polizeipräsenz – mit folgendem Aushang konfrontiert:

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Bahnhof verstehen

Am Wochenende diskutierte die “Gruppe Phänomenologie” und Gäste in Otterthal politische und ästhetische Aspekte der Philosophie Jaques Ranciéres. Ein Thema war seine Charakterisierung des Systems “Kunst”. Wie scharf ist es von anderen Wahrnehmungsweisen und Praktiken abgegrenzt?

Als Beispiel brachte ich das folgende Video. Nach Ranciére ist die Kunst dafür zuständig, Aufteilungen des Sinnlichen zu re-organisieren. Zusammenhänge, die im Alltagsverlauf verborgen bleiben, werden durch Interventionen im Wahrnehmungsfeld sichtbar. Wie man hier sieht, verschwimmen die Grenzen.

sehen, was man denkt

luspru1

Nochmals das Event Sonntag vor einer Woche. Ich habe es metaphysisch kommentiert, was angesichts der Möglichkeit des Todessprungs ja nicht verkehrt sein kann. Hinterher jetzt noch eine Beobachtung zur Wirksamkeit von Bildern, speziell von solchen, die Ideen darstellen.

Der Witz der Aktion in Staatz war in der Werbekarte deutlich sichtbar, ein Trampolin über dem Abgrund:

luft2

Das war zu sehen, aber wie? Das heißt: Was hat jemand gesehen, der diese Karte in die Hand bekommen hat. In meinem Fall muss ich gestehen, dass ich es als ein Foto genommen habe. Sicher, der undefinierte schwarze Balken an der entscheidenden Stelle, an welcher das Brett befestigt ist, war mir aufgefallen. Aber den Mangel an Detail kompensierte die (halb-bewußte) Überlegung, das sei eine Unzulänglichkeit des Fotos, z.B. fehlendes Licht. Mit klarem Blick kann jede sehen, dass es sich um eine Photoshop-Kreation handelt.

Die Idee hat die Sichtbarkeit überlagert. Oder platonisch formuliert: Was man im Kopf hat, ist eben besser sichtbar, als was die Augen bieten. Die “Unaufmerksamkeit” den Details gegenüber hat den Witz der Installation hervorgehoben, da spielt die Mechanik eine nachgeordnete Rolle. Wer will schon wissen, wie das blöde Brett technisch befestigt ist?

Fernsprung_Staatz

Und hier der Wortbeitrag:

[display_podcast]

jobs available

University of Vienna botanical garden
Image via Wikipedia

Ab August 2009 ist Martin Kusch Professor in Wien. Seine Bestellung ist ein großer Erfolg für das Institut für Philosophie und ein Zeichen dafür, dass das Rektorat bereit ist, internationale Top-Wissenschafter zu verpflichten.

maku

Unlängst hat er die folgende Mail an die beiden größten englischsprachigen Philosophie-Listen geschickt:

Two chairs have just been advertised as the University of Vienna; one in (APPLIED) ETHICS and one in THEORETICAL PHILOSOPHY.

See: http://typo3.univie.ac.at/index.php?id=11940

Three things might make these positions interesting to subscribers of this
lists:

(1) No knowledge of the German language is required at the time of
appointment, only a commitment to learn German within three years after
appointment.

(2) The professorial salaries in Vienna can be pretty high compared with
salaries in most European countries. (And note that house prices in Vienna
are relatively low.) Senior chairs come with a secretary and two post-doc
positions. Teaching load is negotiable.

(3) Vienna …

Ich habe Philosophie-Ausschreibungen schon früher an diese Listen geschickt – jetzt sehe ich, wie man das macht. Allerdings gibt es auch ein paar Zwischentöne. “Senior chairs come with two post-docs”, das heißt: personelle Abhängigkeiten, die es im letzten Jahrzehnt nicht mehr gegeben hat.

Und das gute Gehalt, das die Universitätsleitung einem anerkannten Forscher zahlt, wird bei den nächsten Berufungen entsprechend knapp.

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die vielen Schritte

One Step Beyond...
Image via Wikipedia

Alle drei Jahre ist Senatswahl. Wie im vergangenen Durchgang gibt es wieder 2 Listen für den “Mittelbau”. Die “Plattform für universitäre Mitbestimmung”, die Herbert Hrachovec als Spitzenkandidaten aufgestellt hat, und die Liste “Universität gemeinsam neu gestalten” – ULV. Natürlich ist es interessant zu sehen, wie die Konkurrenz sich darstellt.

Kurz gesagt: recht jovial.

Unsere Kandidaten Gerhard Ecker, Gaby Kucsko-Stadlmayer und Germain Weber arbeiten seit sechs Jahren als Senatsmitglieder dafür, Euch Perspektiven für Eure Laufbahn zu eröffnen.

Unser ZIEL ist, die Rolle junger Forschender und Lehrender zu stärken, damit Ihr die Universität als Stätte freier Reflexion erlebt und Euer Potenzial bestmöglich entfalten könnt.

Das klingt wie ein Prospekt der Grünen zur Gemeinderatswahl. (Ja, stimmt schon, ich bin parteilich.)

Wir arbeiten für Euch mit Wissen, Erfahrung, Beharrlichkeit und Verhandlungsgeschick!

Es ist eine eigenartig markierte Position, die Anrede mit “Ihr” und “Euch”. Warum ist mir das beim Verfassen meines Werbetexts nicht eingefallen? Der Unterschied liegt darin, wie man sich an das Publikum wendet. Ein “Schau mir in die Augen” statt einer Bilanz. Theatralisch.

QUELLEN, DIE DAS VERTRAUEN STÄRKEN

Als Erfolg dieser Politik werten wir die vielen Schritte, die das Rektorat in den letzten Jahren mit uns ging …

Als das letzte Rektorat die vielen Jahre Schritte mit uns dieser Erfolg ging. Politik. Werten.

Zum Vergleich der Wahlaufruf der PLUM. Satire auch dort erbeten.

welcomeurope

Das war nicht eine der üblichen Gewinn-Nachrichten oder Aufforderungen zur Beteiligung an großangelegten Finanztransaktionen, obwohl es sprachliche Anklänge gab. “Wir wenden uns an Sie, weil Sie eine wichtige Funktion im Europäischen Forschungsraum ausüben”. Eine französische Firma schrieb mir und bot Kurse zur erfolgreichen Antragsstellung für das 7. Rahmenprogramm der EU an.

Wenn man das Katalogbild direkt von der Website kopieren will, erhält man die freundliche Aufforderung, wegen einer Lizenzvereinbarung mit der Firma in Kontakt zu treten. Wenn man den Reiter “Bildung” wählt, startet ein unsäglicher Videoclip, den ich mir hier zu reproduzieren versage. Wenn man die Sätze des Briefes genau liest, zeigt sich, dass die Herrschaften einen Einführungskurs in Englisch brauchen könnten.

catalogue

Dear Herbert HRACHOVEC ,

Regarding your current position in your organisation Universität Wien, we think this information might be of interest for you.

Welcomeurope, specialist of European Funding and projects management, has identified you as a major actor of the Research and Innovation with the European level.

To entrance your skills within the 7th framework programme of Research and development (7th FP). Welcomeurope proposes 2 modules:

“Project preparation and proposal writing within the 7th framework programme (FP7)” 2nd April 2009 in Brussels,

“Managing research projects financed within the 7th framework programme (FP7)” 3rd April 2009 in Brussels.

Das ist alles sehr verständlich. In der Planung der PhD-Programme ist immer wieder die Rede davon, dass auch die sachgerechte Antragstellung gelehrt werden soll. Mit dem vielen Geld, das die EU zur Verfügung stellt, muss korrekt umgegangen werden und das kompliziert die Sache eben erheblich.

Dennoch gibt es eine ziemlich dunkle Seite. Langsam schleicht sich in Berufungskommissionen die Bereitschaft ein, das Requirieren von Projekten als fachliche Qualifikation anzuerkennen. Das ist eine Art masochistische Auslagerung der Fachexpertise an (teilweise) außer-akademische Akteure. Wer sich die besten Antrags-Designer leisten kann, reussiert. Die Universität richtet sich danach, welche Vorhaben extern Geld bringen. Vorsicht.

faustisch

Das Unternehmen, ab dem Wintersemester 2009/10 ein 3-jähriges PhD-Studium einzurichten, ist Ende des vergangenen Jahres auf ein unerwartetes Hindernis gestoßen. Eine (im Entwicklungsplan der Universität Wien festgeschriebene) Neuerung hat den Unwillen der Fakultäten für Chemie und Physik erregt. Dissertationsprojekte sollen in Zukunft einer Fakultätsöffentlichkeit vorgestellt werden, bevor die Studierenden eine Betreuung zugewiesen bekommen. Dagegen wurden patentrechtliche Bedenken vorgebracht.

Im Bereich der Physik und Chemie sind Doktorarbeiten, welche sich auf Projekte stützen, bzw. durch diese finanziert werden, der Normalfall. Weiters werden diese Projekte bereits im Vorfeld von internationalen Fachgutachtern begutachtet und bewertet. … Weder ein DPSL (sic!) noch ein noch so klug zusammengesetzter Doktoratsbeirat können daher eine projektgestützte bzw. projektfinanzierte Doktorarbeit kompetenter beurteilen als internationale Fachgutachter. … Auf diese Weise würden sich auch mögliche patentrechtliche Probleme … vermeiden lassen.

Das ist eine bemerkenswerte Passage. Sie schlägt einen Bogen von Projekten, wie sie in den Naturwissenschaften üblich sind, zu deren internationaler Begutachtung und der damit mitgelieferten Qualität, die an der Universität Wien gar nicht mehr zum Thema werden sollte. Es wird so getan, als ob es nur Vorschläge gäbe, die innerhalb der “scientific community” nach allgemeinen Standards geprüft und finanziert würden. Verschwiegen wird dabei, dass es auch Dissertationsvorhaben gibt, die pragmatischer angelegt sind und gemischt akademisch-kommerziellen Interessen dienen.

Wissenschaftler der genannten Fakultäten haben Beziehungen zu Firmen, die Forschungsergebnisse zu Patenten machen (und damit der populären Aufforderung nachkommen, Forschung und Wirtschaft zu verbinden). Paul A. David hat dazu in zwei Beiträgen Can ‘Open Science’ be Protected from the Evolving Regime of IPR Protections? und Innovation and Universities’ Role in Commercializing Research Results wichtige Überlegungen vorgelegt. Die Funktion der Öffentlichkeit, von der Andreas Kirchner im vorigen Beitrag schreibt, und das Interesse der Geheimhaltung sind nicht leicht vereinbar.

Etwas mehr dazu in meiner Vorlesung. Inklusive eine Recherche, die eine schöne Pointe hervorhebt: Auch im kommerziellen Umfeld, wird eine literarische Einbettung nicht verschmäht.

faustuslogo

Kampfkunst akademisch

Gestern hatte ich ein Interview für einen Bericht an das Wissenschaftsministerium. Die Kollegin wollte wissen, welche Rolle berufstätige Studierende an der Universität Wien spielen und was für sie getan wird. Ein Teil des Gespräches handelte davon, dass es (zumindestens) zwei Varianten von Berufstätigkeit gibt, (1) Arbeit, um das Studium zu finanzieren und (2) Beschäftigungen, die akademische Weiterbildung brauchen können. Bezüglich des zweiten Punktes machte ich deutlich, dass sich die Universitäten nicht als berufspraktische Ausbildungsstätten verstehen.

Als Kontrapunkt erreichte mich heute eine Aussendung der Donau-Universität Krems:

Das Forum Seminare der Donau-Universität Krems bietet PUNKTGENAUe
Weiterbildung für Praktiker/innen auf universitärem Niveau!

Eines der Angebote nennt sich “SCHWIERIGE GESPRÄCHE MEISTERN”. Es verspricht eine ungewöhnliche Mischung:

Häufig als Kampfsituation wahrgenommen, profitieren Sie durch einen
ganzheitlichen Zugang von der Kampfkunst Aikido für einen völlig neuen
Umgang mit Konflikten.

Der Nachteil dieses Angebotes ist lediglich, dass Teilnehmerinnen vorbereitend die deutsche Grammatik verlernen müssen, um die Werbetexte zu verstehen:

Häufig führen Konfliktgespräche in Starre und zu einem sich Verkrampfen, doch die körperliche Dimension bleibt oft zu wenig wahrgenommen. Mit Beispielen aus der Praxis der ReferentInnen und Übungen aus dem Aikido werden die Mechanismen und Kommunikationsmuster in Konflikten von zwei Seiten beleuchtet. Siehe Teilnahmegebühr € 780,00

Hier ein erster Eindruck von “neuen Verhaltensweisen in Kampfsituationen”:

[youtube -RaUpEMpxuY]