“better to die ten years from now”

In der aktuellen Ausgabe des New Left Review findet sich ein Gespräch mit Richard Duncan, dem Autor zweier Bücher über die Dollarkrise, Globalisierung und Schuldenfalle.

Er skizziert drei Möglichkeiten, mit der auf Dauer unhaltbaren Praxis umzugehen, stagnierende Volkswirtschaften durch massive Staatsverschuldung anzukurbeln. Die erste Option ist ein drastischer Sparkurs. Er würde direkt in eine globale Rezession führen. Die dritte Möglichkeit, die Duncan empfiehlt, sind weitreichende Programme zur Förderung der Infrastruktur und Produktivität, speziell in den Sektoren Energiewirtschaft und Pharmakologie. Dazwischen liegt das folgende Szenario (Duncan spricht von der US-Regierung):

They can carry on doing this for another five years with very little difficulty, and maybe even for ten years. The US government debt is only 100 per cent of GDP, so they could carry on for another five years and still not hit 150 per cent. But though it’s not clear how high it can go, it can’t go on forever. Sooner or later — say, ten or fifteen years from now — the us government will be just as bankrupt as Greece, and the American economy will collapse into a new Great Depression. So, that’s option two. It’s better than option one, because it’s better to die ten years from now than to die now; but it’s not ideal.

Diese Beschreibung trifft die gegenwärtige Lage. Wir finden uns eingeklemmt zwischen

  • der “revolutionären” Forderung, die bisherige Wirtschaftpolitik zugunsten drastischer fiskaler Einsparungen aufzugeben
  • der optimistischen Zukunftsperspektive, die Weltwirtschaft wäre durch Investitionen zu retten, die nicht dem herrschenden Bankwesen, sondern der Erschließung neuartiger Ressourcen dienen

Auf der einen Seite der augenblickliche Kollaps, auf der anderen der künftige Erfolg, dazwischen: “Wir sind noch einmal davongekommen.” Und nochmals, und nochmals. Aber irgendwann ist Schluss.

Eigenartiger Weise ist das auch eine Beschreibung, wie jedes menschliche Leben abläuft — und endet. Wenn man sich vor Augen hält, dass in Europa vor 70 Jahren Millionen Menschen getötet worden sind, stellt sich die Frage, ob der gepriesene Friede nach dem 2. Weltkrieg nicht abermals auf ein Massensterben hinausläuft.

Gespräch zu Ende? Nein, danke.

Die Automatik dieses Blogs deaktiviert die Kommentarfunktion nach einigen Tagen, auch für die Autorin. Dies ist unabhängig vom Datum des letzten Kommentars.  Es liegt mir nahe, dieses Ende nicht zu akzeptieren. Also antworte ich auf das Kommentar des letzten Artikels, und den automatischen Redeverbot, in dieser Form.

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beschreiben und erschweigen

Der Tractatus von Ludwig Wittgenstein scheint zunächst gekünstelt, eine durchorganisierte Ausstellung. Die nummerierten und geordneten Sätze können zur Meditation einladen, wie eine Serie von Gemälden eines Künstlers. Wenn man annimmt, dass es ums Ganze geht, verführen die pointierten Sätze zum Verharren und Abdriften: “4.1212 Was gezeigt werden kann, kann nicht gesagt werden.” Die folgenden drei Screenshots setzen sich mit diesem Satz auseinander, sowie der Frage wie weit sich die Disjunktion von Zeigen und Sagen halten lässt, ausgehend von (m)einer unabgeschlossenen Welt.

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katastrophale Auswirkungen

 

 

Jean-Luc Nancy; Galilee 2012

 

 

 

Die TAZ bringt die kurze Besprechung eines unlängst erschienenen Buches von Jean-Luc Nancy: Kirschbaumblüte statt Atomausstieg. Es besteht aus einem Vorwort und dem Vortrag im Rahmen einer Videokonferenz: “Philosopher apres Fukushima” an der Toyo University. (Siehe auch deren Journal).

Da ein Projektseminar am Philosophieinstitut der Universität Wien im vergangenen Jahr eine Film zum Thema produziert hat, lohnt sich eine Lektüre. Ich werde in lockerer Folge auf weitere Beiträge aufmerksam machen.
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iTunes U Fundstücke

Soweit ich sehe verwenden vier österreichische Universitäten iTunes U. “Die Presse” spricht von einem “Aushängeschild“:

Zwischen der Technischen Universität Graz und der Universität Innsbruck ist in diesem Zusammenhang zuletzt sogar ein kleines Wettrennen entbrannt. Beide Unis haben im Sommer ihren Auftritt in iTunes U gestartet. Die Innsbrucker waren jedoch schneller, erzählt Josef Kolbitsch vom Zentralen Informatikdienst der TU Graz, nicht ganz ohne sich ein wenig zu ärgern.

Mit dem Angebot wird unterschiedlich umgegangen. Innsbruck freut sich seit 2009 über den ersten Platz:

Seit Oktober 2009 hat die Leopold-Franzens-Universität Innsbruck die Pionierrolle für das begleitende Studieren per Podcast übernommen. Als erstes Bildungsinstitut Österreichs bietet sie Vorlesungen, Lehrmaterialien sowie Informationen rund um Fakultäten und Campusleben als Audios und Videos auf iTunes U an.

Die Universität Graz verlinkt ohne Umstände direkt zu iTunes U und teilt dort mit, dass sie “entscheidend zum pulsierenden Leben der steirischen Landeshauptstadt” beiträgt: Universität Graz, iTunes U

In Salzburg hat man immerhin ein Bewusstsein davon, dass es nicht nur PCs und Macs gibt und erwähnt den von Andreas Kirchner im Kommentar zum vorigen Beitrag angesprochenen “tunesviewer” für Linux. (Leider ist er umständlich im Gebrauch und instabil.)

Diese Hochschulen haben sich also in einen pädagogischen Rahmen eingeklinkt, der vom weltweit größten Unternehmen entwickelt worden ist, um damit das Bildungswesen in seine Einflusssphäre zu ziehen. Sie betrachten das als Fortschritt. Um ein Urteil fällen zu können, sollte man ansehen, was sich in den letzten beiden Jahren unter diesen Adressen tatsächlich getan hat. Eine genauere Inhaltsanalyse schiebe ich auf. Aber gefahrlos ist das Unternehmen nicht:

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Das Grazer Angebot ist vielfältig und enthält u.a. Lehrveranstaltungen, Beiträge von Studierenden sowie Campusleben. Dass dabei niemandem aufgefallen ist, dass das erste Drachenbootfest auf der Murinsel einer “Kundenbewertung” und “Kundenrezension” unterzogen wird?

Ein Durcheinander in iTunes-u

Die John Locke Lectures an der Universität Oxford gehören zu den bekanntesten Vortragsreihen in der Philosophie. Sie besitzen immenses Prestige und bieten ausgewählte Fachleute. Exklusiver und repräsentativer kann man es kaum haben.

Die Vorlesungen sind mittlerweile auf Apples iTunes-u zugänglich. Das ist zunächst einmal ein riesiger Gewinn. Robert Stalnaker (2007), Hartry Field (2008) und David Chalmers (2010) gehören zu den Sprechern, deren Präsentationen zur Verfügung stehen. Leider sind sie kläglich durcheinandergemischt. So sieht ein Ausschnitt ihrer Präsentation aus, der sich in Firefox nicht expandieren läßt.

Will man der Sache näher kommen, muss man sie sich “in iTunes ansehen” und dann erwartet einen die Aufforderung

Linuxbenutzerinnen müssen draußen bleiben. Aus der Sicht Apples ist das verständlich. Aber als Philosophie? Dieses lieblose Listing des Beginns von Datenbankeinträgen, aus dem keine Themen und keine Personen hervorgehen, und stattdessen die Charakteristik “kostenlos” und die Aufforderung zur Verwendung von iTunes hervorgehoben sind?

Begriff und Eingriff

welt * label

Angenommen, die Wissenschaft von den Situationen ist die radikalste Situation, eine die die allgemeinste Gegebenheit, das Gegeben-sein selbst, auf den Begriff bringen will, umgrenzt von Axiomen und organisiert vom Regime des strukturierten Ausdrucks. Genau hier,  durch den höchstmöglichen Grad der Rasterung, lässt sich explizieren, dass jede Ganzheit (jede Totalität der Struktur) ein Ergebnis ist, das (ungefragt) durch einen (fachgerechten?) Eingriff wiederbelebt und weiterentwickelt werden kann.

http://www.timoosmanski.de/global.jpg

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Trilingual. Überweisung, traduction, surprise

Ein Franzose (F) , Ein Ire (I) und ein Österreicher (Ö) unterhalten sich in einem Schweizer Großraumbüro über die Übersetzbarkeit von Ausdrücken in verschiedenen Sprachzusammenhängen. Das folgende kann auch als eine allgemeine Lektion zur Beurteilung der Durchmischung und gegenseitigen Zitation von Sprachausdrücken verschiedener Herkunft betrachtet werden, siehe auch letzter Blogeintrag zur Durchmischung von Mengentheorie und Existenzialismus und dass man jeweils ein temporär stabiles Medium als Substrat verwendet.

F:
*zeigt mit dem Finger auf die Tasse des Österreichers und fragt in gebrochenem Deutsch*
Was ist das?

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Der Zenmeister, der Krug und das Ereignis

Alain Badiou verbindet Mengentheorie mit Existenzialismus, oder soll man sagen, dass er sie durchmischt? Die Grundlegung der Mathematik befasst sich nicht mit Zeit, die menschliche Existenz dagegen ist immer im Augenblick verletzlich. Es gibt zwar einen Rundumblick, innerhalb dessen Menschen das sind, was sie waren und sein werden. Grammatisch kann das mittels der Vorzukunft ausgedrückt werden: “Ich werde sein, was ich schon gewesen bin”. Die Schwierigkeit ist, dass dabei die umwerfende Überraschung (“das Ereignis”) fehlt, die Badious Theorie ebenfalls vorsieht.

Ein Konzert hat mich auf den Gedanken gebracht, dass zu Badious Mixtur auch Zen gehört. (Das wird er vielleicht ungern hören.) Dan Tepfer spielte Bach, er hat 2009 eine CD mit Lee Konitz aufgenommen. In deren liner notes findet sich eine Zen Episode, von der eine Variation nach Alan Watts folgendermaßen lautet.

 

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Zur Freiheit

Eine Notiz in der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung” präsentierte ein interessantes Resultat der neuronalen Kognitionsforschung. Das bekannte Libet-Experiment wird in der Regel so interpretiert, dass ein “Bereitschaftspotential” vor der bewusst gewollten “Entscheidung” zu einer Handbewegung diesen Vorgang im Gehirn anstößt. Ergo: Menschen glauben nur, aus eigenem Antrieb zu “handeln”. (Hier ein Überblick.)

Ein französisches Forscherteam hat auf der von Libet ausgearbeiteten Grundlage eine andere Interpretation vorgelegt. Es fügte zum Experiment die Aufgabe hinzu, motorisch auf unvorhersehbare Reize zu antworten und kam zum Ergebnis, dass

  • durch die Experimentalsituation eine allgemein erhöhte Handlungsbereitschaft hervorgerufen wird,
  • die nicht direkt mit zielorientiertem Handeln in Verbindung zu bringen ist,
  • sondern an stochastischen Fluktuationen des Nervenapparates hängt

Sowohl Flußkrebse, als auch Menschen, zeigen solche Potenziale. Die Untersuchung ist im Detail für Laien kaum verständlich. Ich erwähne sie wegen einer “open access” Beobachtung.

In den “Proceedings of the National Academiy of Sciences of the United States of America” ist der Artikel seit 6. August erhältlich. Zwei Tage Zugang kosten US$10.00.

Sollte jemand das Dokument jedoch von Pubget.Find papers fast beziehen wollen, zahlt sie US$20.50.

Und hier ist er gratis zu beziehen. Die Absurdität der Wissenschaft als Kleinhandel.