In der vierten Meditation von “Sein und Ereignis” erklärt Badiou, wie herkömmliche Situationen ablaufen und dass alles gezählt und strukturiert wird. Was nicht gezählt wird, ist nicht fassbar. Alles muss unter eine strukturierte Einheit gezählt werden. Wenn er dann sagt, dass dies, was man bei den herkömmlichen Situationen findet, genau die Umkehrung seiner Ausgangsthesen (z.B. das Eins ist nicht) ist, macht er für seine Situation einen Unterschied. Es ist ein Grenzfall, quasi eine Diagonalisierung (wenn wir schon bei Cantor sind), um zu zeigen, dass die Blickrichtung üblicher Situationen so strukturiert ist, dass das, worum es geht, nicht gefasst werden kann: die Mannigfaltigkeit. Sie ist deswegen wichtig, weil alle Situationen mit ihr umgehen, sich ihrer – jedoch inadäquat – zu bemächtigen suchen. Das was sie tun ist zwar gültig, aber nicht wahr, denn sie berücksichtigen ihre eigenen Umstände nicht.
Energie kostet Leben
Diesen Mittwoch, am Jahrestag der Tschernobyl-Katastrophe, hat Quintessenz zu einer Informationsveranstaltung eingeladen. Zwei Naturwissenschaftlerinnen (m/w), die sich tendentiell gegen die weit verbreitete Erregung in Sachen Kernenergie stellten, mahnten zur Sachlichkeit. Die Zahlen und Erläuterungen hörten sich recht anders an, als man es in unseren Medien gewohnt ist. Mir fehlt die Sachkenntnis zu einem fundierten Urteil, stattdessen nenne ich einige Punkte zur Erklärung, warum die Aufregung auch etwas an der Sache trifft.
Lechner Edi Reloaded?
Jura Soyfer‘s Stück “Der Lechner Edi schaut ins Paradies” handelt davon, dass der arbeitslose Lechner Edi während der Wirtschaftskrise der 30er-Jahre auf einem Elektromotor von der Schuhfabrik seines ehemaligen Arbeitgebers zurück durch die Zeit fliegt, um den Schuldigen für seine Arbeitslosigkeit und Lebenssituation zu finden. Er gibt irgendwann die Suche auf und endet mit “Auf uns kommt es an!”.
Der nach Soyfer benannte Hörsaal in der Hofburg wurde am 14. April zu einem Schauspiel im Spannungsfeld zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und politischer Repräsentation. Man wurde – neben Polizeipräsenz – mit folgendem Aushang konfrontiert:
so und so
Beim Frühstück überfliege ich eine Schlagzeile:
US soldier killed for sport
Meine gesamte bisherige Lebensgeschichte steht zur Verarbeitung dieses flüchtigen Eindrucks zur Verfügung. Das Ergebnis ist als erster Gedanke: Oho, jemand hat sich einen Sport daraus gemacht, einen US-amerikanischen Soldaten zu töten. Dann beginne ich den Artikel zu lesen. Es stellt sich heraus, dass der Titel nicht passiv, sondern aktiv gemeint ist. Ein Soldat hat als Sport afghanische Zivilisten getötet.
Es gibt offensichtlich, trotz aller Erfahrungen seit dem Vietnamkrieg, eine subjektive Prädisposition, US-Soldaten als gut und eher als Opfer, denn als Täter zu sehen. In einer an Badiou angelehnten Terminologie, könnte man sagen, dass beim Frühstück eine inkonsistente Mannigfaltigkeit herrscht, bis sich eine Situation herauskristallisiert. Warum diese — und nicht jene? Die Frage ist unabweisbar, aber schwer zu bearbeiten.
Benvenuto Cellini’s Bronzeskulptur in Florenz zeigt Perseus, der das Haupt der Medusa hochhebt, die er getötet hat.
Medusa killed for power
Das weibliche Wesen ist tot, der Held und die Gorgone sehen wie Geschwister aus. Triumph und Trauer.
Tempel kaputt?
In diesem Blog gibt es einen instruktiven Beitrag zu Badiou. Die Wahrheit als Ereignis. Daran anknüpfend werden hier weitere Überlegungen zu Badiou angestellt werden. Sie halten sich an den Beginn von Das Sein und das Ereignis.
Badiou beginnt mit einem Hinweis auf Parmenides. Er stellt als These vor:
- was sich darstellt ist wesentlich vielfältig
- was sich darstellt ist wesentlich eines
Die Sätze bilden “das Eingangsportal eines zerstörten Tempels”. Sie lassen sich nämlich zu einer anscheinend ausweglosen Dialektik verbinden. Nach (2) denken wir uns eines, das einer Darstellung zugrund liegt, nach (1) denken wir, dass die Darstellung sich in einem zusätzlichen Medium abspielt und dem Dargestellten jedenfalls weiteres hinzufügt. Wie kann das zusammenpassen? Das Eine verliert sich im Vielen, welches seinerseits nicht zum Einen kommen kann.
Badiou beginnt mit einer sehr stilisierten Sicht auf Parmenides. Es lohnt sich, näher hinzusehen.
Einrückung
Die Universität Wien hat sich nun entschlossen, Hahns Dissertation und das Gutachten von Peter Schulthess zugänglich zu machen:
Die Einschätzung von Peter Schulthess ist nachvollziehbar. Ich habe, wie er, in meinem Bericht dieselbe Position vertreten und nicht von einem Plagiat gesprochen. Die Frage ist allerdings, womit wir es dann in dieser Arbeit zu tun haben. Dazu eine allgemeine Bemerkung und ein kleines Detail.
Herrn Schulthess ist offenbar die ganze Arbeit vorgelegen. Er beschränkt sich (auftragsgemäß) auf den Vorwurf Stefan Webers. Wieso er, angesichts der von ihm selbst festgestellten Fragwürdigkeit der Passage, keine weiterreichende Warnung ausspricht, ist mir nicht klar.
Zweitens enthält seine wohlmeinende Verteidigung der Hahnschen Zitationsabsichten einen faktischen Fehler. Er weist darauf hin, dass Hahn auf Seite 211 am Ende der Übernahmen von Leopold Kohr den Text wieder nach links rückt. Das kann tatsächlich als Zeichen eines Zitatendes gelesen werden.
Das Problem ist nur, dass es dann am Anfang des supponierten Zitates eine korrespondierende Einrückung geben müsste. Das ist aber nicht der Fall. Die zu S. 211 gehörende Einrückung nach rechts befindet sich zwischen den Seiten 207 und 208 und markieren dort offensichtlich keinen Zitatbeginn.
Es folgen die Seiten 208 – 210. Dann:
Himmelherrgott, STANDARD
Die letzten beiden Tage waren verloren. Immer dieselben Fragen beantworten, ohne zu wissen, wie das dann im Effekt gedreht wird. Aber es ist auch instruktiv gewesen. Man kann berichten, und die entscheidenden Fragen gezielt nicht stellen. Das tun die beiden “Qualitätsblätter” der rechten und linken Reichshälfte:
Im Leserinnenforum des Standard, mit dem ich schon schlimme Erfahrungen gemacht habe, wirft Jan Kolarik genau die richtigen Fragen auf:
Recherche?
Himmelherrgott, STANDARD!! Ihr treibt’s mich noch in den Wahnsinn!
Ihr schreibts: “Hrachovec der Uni vor, sie habe dem Gutachter der Uni Zürich nur Ausschnitte der Dissertation Hahns zur Verfügung gestellt. … Diese Vorwurf weist Kopp im Gespräch mit derStandard.at entschieden zurück. Das Gutachten der Ombudstelle der Uni Zürich sei für jeden einsehbar”
JA UND??????
Hatte Zürich nun die gesamte Arbeit oder nicht? Wenn das Gutachten einsehbar ist, habt’s ihr euch das schon angeschaut?? Wenn nicht, warum nicht? Wenn ja, steht da was über die Vollständigkeit der überreichten Doktorarbeit??
Kurz, STANDARD: Habt’s ihr *irgendwas* recherchiert oder tippt ihr nur ab was euch andere Leute ins Mikrofon tippen?
Anders als die “staatstragenden” Tageszeitungen fragt “Österreich” interessanterweise nach. Sie haben, so vermute ich, keine Inserate der Bundesregierung zu verlieren.
Die Antwort auf die Frage gibt übrigens der Gutachter Peter Schulthess.
Ernüchterung
Ich denke, was man an der Uni lernen kann ist, sich mit weniger zufrieden zu geben, aber nicht weil man zu wenig ambitioniert wäre sondern weil man schmerzlich feststellt, dass Wissen nicht jene Art von Erfüllung, nicht die sinnstiftende Vereinigung mit dem Weltganzen herstellt, nach der der Wissensdurst verlangt. Man muss sich darauf einlassen, kleinteilige Untersuchungen durchzuführen.
So ging es mir als ich dieses Muster-Abstract als Vorbild für die verpflichtende Anmeldung zu einer Diplomarbeit las.
Eine ähnliche Befindlichkeit könnte sich seit diesem Semester schon zu Beginn des Informatik-Studiums an der TU Wien einstellen, wenn zwei Professoren vor der Studienanwärterin sitzen um sie über ihre vermutlich unrealistischen Vorstellungen zum Informatik-Studium aufzuklären.
Doppelblock
Man soll alten Zeiten nicht ungebührlich nachtrauern. Peter Rastl war jahrzehntelang ein innovativer und liberaler Leiter des Zentralen Informatikdienstes. Der 2.Stock des Neuen Institutsgebäudes war einladend, viele Türen standen offen. Die Gelegenheit, kurz einmal Rat zu holen habe ich öfters genutzt.
Der Gang, an dem die Büros der Bediensteten liegen, ist nun gesperrt. Die Zugangstüren ziert ein plakatives Nicht-gegen-die-Einbahn Zeichen. Das gibt eine interessante Logik: Der Gang ist Einbahnstraße in beide Richtungen. Heads I win, tail you lose. Eine Rauminszenierung der Verweigerung.
Für die Benutzerinnen ist die Sperrung ein Ärger. Um von den PC-Räumen zum Helpdesk zu kommen, müssen sie jetzt vom 2.Stock ins Erdgeschoss, dann das NIG durchqueren, dann wieder in den 2.Stock. Aber das ZID hat dieselben Privilegien erhalten, wie das Controlling oder das Internationale Forschungsservice: Du kommst nicht mehr ohne Gegensprechanlage hinein.
Man soll alten Zeiten nicht ungebührlich nachtrauern. Man soll Verluste nicht verschweigen. Ein paar dunkle Gänge mehr.
Pilzkopf
Bin ich froh, dass dieser Auftrag an mir vorbeigegangen ist: Pilz lässt Hahn-Dissertation erneut prüfen.
Der grüne Abgeordnete Peter Pilz hat den als „Plagiatsjäger“ bekanntgewordenen Medienwissenschaftler Stefan Weber beauftragt, sich die Doktorarbeit Hahns nochmals auf möglicherweise abgeschriebene Textpassagen anzuschauen.
…
Pilz hält es für durchaus möglich, „dass Hahn unser Guttenberg sein könnte“. Der grüne Abgeordnete verwies darauf, dass sich Weber die Dissertation Hahns bereits im Jahr 2002 stichprobenartig angesehen hatte. Schon damals habe er Hinweise auf mögliche Plagiate gefunden, das seien „starke Indizien“. Nun gebe es neue technische Möglichkeiten, um das besser untersuchen zu können.